Wenzels Eier

Was man nicht hat, kann man kriegen und was nicht ist, kann immer noch werden. 

Der Mitteldeutsche Rundfunk hatte vor einiger Zeit eine sehenswerte Dokumentation über die „letzten Lebensjahre“ von Hans-Eckardt Wenzel im Programm. Das mit den „letzten Lebensjahren“ sagt Wenzel selbst im Film, was aber nicht stimmt, weil auch seine Kindheit und Jugend beleuchtet werden. Jedenfalls dachte ich beim Anschauen: Der Wenzel hat es eben einfach gemacht! Und ich wurde ein bisschen traurig, weil ich nicht den Mut gehabt hatte, beruflich Nägel mit Köpfen zu machen, meinen Weg zu gehen oder wie man sonst noch dazu sagen könnte. Weil ich eben keine Eier hatte, die Wenzel nun mal hat, wie auch in dem Film enthüllt wird. Und als ich nun so traurig in meinem Bett lag und mich damit tröstete, dass ich aber doch in der Liebe das Glück gefunden hätte und mit zwei schönen Kindern überreich gesegnet wäre, da fiel mir in diesem Zusammenhang ein, dass der Zug ja noch lange nicht abgefahren ist. Könnte es denn einen besseren Zeitpunkt für mein berufliches Coming-Out geben, als jetzt? 

Gedacht - gemacht. Gleich am nächsten Tag recherchierte ich alles über die Künstlersozialversicherung in Deutschland und schon am Nachmittag setzte ich meine Frau davon in Kenntnis, dass ich ab sofort meine Existenz als Berufskünstler vorbereiten müsse und teilte ihr den voraussichtlichen Stichtag für meinen Berufswechsel mit. Als ich ihr das letzte Mal etwas in dieser Größenordnung vorschlug, ging es um die Gründung unserer Familie. Elf Monate später waren wir verheiratet. Nach weiteren sieben Monaten wurde unser Sohn geboren. Wenn sie also mitzieht, ist der Drops so gut wie gelutscht. 

Was jetzt kommt, ist die mühsame Kleinarbeit. Als erstes brauche ich ein neues Programm, mit dem es sich auftreten lässt. Das bedeutet, einen ganzen Sack voller Lieder, also Texte und Melodien. Ich hatte schon so lange keine Lieder mehr gemacht, dass ich nicht mehr wusste, wie es geht. Ich versuchte, mit dem Text anzufangen, aber es kam nichts dabei heraus, was man hätte singen können. Also mit der Melodie beginnen! Ich spielte ein paar Akkorde und summte vor mich hin und tatsächlich: Stückchen für Stückchen entwickelte sich eine Melodie. Meine Frau meinte, sie käme ihr bekannt vor. Ach was! Alle Melodien enthalten irgendetwas Bekanntes! Ich setzte mich ans Klavier und summte und lallte seelig, bis mir das Werk vollendet schien. Ein Text würde sich wie von selbst einstellen. Im Hintergrund gluckste meine Frau vor sich hin. Ich fand das im Angesicht meiner hohen Schöpfung unangemessen und sagte ihr das auch. Ein bisschen Respekt wäre wohl nicht zuviel verlangt. Sie schien ihren Fehler einzusehen und glücklich und befreit sang ich noch einmal die wunderbare Melodie und meine liebe Frau sang mit. Und in der letzten Zeile improvisierte sie plötzlich einen Text dazu: küh-hüler weh-het der Wind. Und brach in schallendes Gelächter aus. Ich hatte „Bunt sind schon die Wälder“ komponiert. 

Veröffentlicht in Arbeit am 20.10.2023 18:07 Uhr.

Die Quadratur des Kreises

Die richtige Antwort auf die Frage "Warum muss..." lautet immer: "Kein Mensch muss müssen." Das kann man sich an den Spiegel stecken. Muss man aber nicht. 


Ich war also beim Chef, bei dem, mit dem ich den Vertrag habe. Es gibt schließlich immer irgendwelche Möglichkeiten, die unbeschadet aller Vertragstreue ausgeschöpft werden wollen. In meinem Fall ist das mein Anspruch auf Elternzeit. Die möchte ich dann ab Geburt des zweiten Kindes schon mal in Anspruch nehmen. Wenigstens für einen Monat. Angesagt habe ich sicherheitshalber erst mal zwei Monate. Der Chef begann daraufhin auf seinem Blatt mit viel Schwung ein Parallelogramm zu zeichnen. Dann legte er mit noch mehr Schwung eine grobe Schraffur darüber. Der Gesichtsausdruck und die ganze Körpersprache ließen darauf schließen, dass er Mühe hatte, seine Freude über meine frohmachende Mitteilung zu verbergen. Er konnte es einfach nicht zeigen. Es könnte allerdings auch sein, dass er sich überhaupt nicht gefreut hat. Körpersprache wird ja oft überbewertet. 

Wie dem auch sei, die Tage, an denen der Papi zur Arbeit fahren muss, sind erstmal wieder gezählt. Wir werden uns in den ersten Februartagen einschneien lassen und wenn die Zeit gekommen ist, bringt die Eisbärenmutter ihr zweites Kind zur Welt. Dann bleiben wir unter der dicken Schneedecke zu viert in unserer gemütlichen Höhle, bis der Frühling wieder ins Erzgebirge kommt, der Schnee taut und wir eine kleine Familie geworden sind, die ein bisschen größer geworden ist. Eisbärenväter dürfen ja eigentlich nicht mit in die Eisbärenhöhle. Sie müssen bei Wind und Wetter draußen bleiben, irren allein umher und fristen ein trostloses Dasein.  Aber glücklicherweise sind wir keine Eisbären und auch keine Pinguine. Warum sollen wir also nicht einfach zusammen bleiben?

Ob meine Vaterpflichten dann überhaupt noch eine Rückkehr ins Berufsleben erlauben, wird sich zeigen müssen.  Wer erinnert sich noch an die Geschichte, in der mir der Traps unter der Spüle abgegangen ist? Das war während meiner Elternzeit und brachte mich seinerzeit an den Rand der Verzweiflung. Meiner Frau ist jetzt genau das Gleiche wieder passiert! („Was für ein seltsames Geräusch!“) Für solche Katastrophen muss ein Mann im Haus sein, der sofort mit Lappen und Eimer, Taschenlampe, Hanf oder Abdichtband Abhilfe schaffen kann. Das bespreche ich aber jetzt noch nicht mit dem Chef. Vielleicht versucht er sonst einen Kreis zu zeichnen und eine Quadratur darüber zu legen. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Arbeit am 26.11.2022 19:35 Uhr.

Pacta sunt servanda

Die Schönheit einer Frage oder die eines Problems im eigentlichen Sinne wird durch seine Lösung zerstört und zunichte gemacht. Lasst also die Fragen in Ruhe und vor allem: Verschont uns mit den Antworten! 


Die Welt lechzt nach Nachrichten. Nachrichten waren und sind der Pulsschlag des Lebens. Nachrichten sind die Goldkörnchen im Treibsand der Information, mithin die Währung der Informationsgesellschaft. Wird der Gashahn zugedreht, frieren wir vielleicht. Wenn kein Strom mehr fließt, sitzen wir im Dunkeln und können nichts mehr einkaufen. Aber wenn die Nachrichten versiegen, sind wir alle verloren. Allerdings kann hier erst mal Entwarnung gegeben werden. Es sieht nicht danach aus, als würde sich alsbald eine Nachrichtenmangellage einstellen. Wir müssten also nicht auch noch selbst Nachrichten produzieren, wobei sofort die Frage aufploppt, was eine Information (Treibsand) denn eigentlich zur Nachricht (Goldkörnchen) werden lässt. Zum Glück muss man nicht jede Frage beantworten. Die Schönheit einer Frage oder die eines Problems im eigentlichen Sinne wird durch seine Lösung zerstört und zunichte gemacht. Lasst also die Fragen in Ruhe und vor allem: Verschont uns mit den Antworten! 

Kleine Kinderfragen sind die Königinnen unter den Fragen. Man muss sie herausarbeiten und dann kann man sie noch mit Zucker bestreuen, wenn man welchen hat. Dann auf keinen Fall beantworten, sondern stehen lassen. Bei uns stehen inzwischen so viele unbeantwortete Kinderfragen herum, dass man nicht mehr treten kann. Aber so ist das eben, wenn man kleine Kinder hat. Das muss man genießen. Sie werden schließlich viel zu schnell groß. Das klingt jetzt vielleicht, als hätte ich die Weisheit mit Löffeln gefressen. Gut raten ist aber eine Sache, selbst danach handeln ist eine andere. Ich selbst bin nun wirklich der Letzte, der eine Frage unbeantwortet lassen könnte. Ich kann vielmehr Fragen beantworten, die gar keiner gestellt hat und die auch nie jemand stellen wird. 

„Warum muss der Papi zur Arbeit fahren?“ ist so eine klassische Kinderfrage, die man mit Zucker bestreuen und der Gesellschaft, die die armen Kinder ihrer Väter beraubt wie einen Spiegel vorhalten müsste. Sie könnte so ihre entstellte Fratze der Gewalt vielleicht erkennen und erschrocken einlenken. Stattdessen hatte ich natürlich sofort die Antwort parat, die ich mir selbst als Mantra aufsage, wenn ich mich noch vor Morgengrauen hohl hustend zum Frondienst schleppe: Weil ich einen Vertrag habe und weil Verträge einzuhalten sind. Mit einem Schlag schwindet so alle Hoffnung, die in der Frage noch als Fünkchen glomm. Und so werde ich mich weiter durch die Dunkelheit schleppen, bis ich die unselige Antwort wieder vergessen habe und die Frage wieder in mir zu leuchten beginnt: Warum muss der Papi zur Arbeit fahren?

Veröffentlicht in Arbeit, Elternzeit am 20.11.2022 16:21 Uhr.

Noch lange nicht fertig

Es gibt ein einfaches Mittel gegen zu viele Aufgaben: Noch mehr Aufgaben.


Früher war mein Leben einfach. Ich musste an fünf Tagen in der Woche zur Arbeit (Teilzeit!) und irgendwie einen kleinen Haushalt bewältigen: einkaufen, Müll wegtragen, abwaschen, zweimal im Jahr staubsaugen. Keine große Sache. Trotzdem wäre ich manchmal fast zusammengebrochen und hatte schon erwogen, mich beim Schwarzfahren erwischen zu lassen, um wenigstens ein paar Monate in einer Haftanstalt ausspannen zu können. Zu meinem großen Glück traf ich eine Gefährtin und Wegbegleiterin, die mich heiratete, bevor ich mich vollends ins Unglück stürzen konnte. Wir bekamen ein Kind. Das will nun betreut und gepflegt werden, es ist mehr Müll wegzutragen, es muss für drei eingekauft werden, ein Geschirrspüler muss ein- und ausgeräumt und eine viel größere Wohnung gestaubsaugt werden. Wer allerdings meine Frau kennt, kann sich denken, dass für mich nicht mehr viel Aufgaben übrig bleiben, wenn sie in der Nähe ist. Wenn ich losgehe, den Müll runterzutragen, kommt sie schon wieder zurück, bevor ich am ersten Eimer angekommen bin. Während ich überlege, in welchem Zimmer ich zuerst sauge, ist sie schon im letzten angekommen und macht damit nebenher noch unser Kind glücklich. Sie ist einfach zu schnell. 

Aber was soll’s? Es geht im Leben nicht um Geschwindigkeit. Unser Planet fliegt mit mehr als 100 000 km/h um die Sonne und dreht sich dabei mit mehr als 1000 km/h um sich selbst. Das reicht doch. Eigentlich könnte man den ganzen Tag einfach nur still sitzen bleiben und wäre immer noch schnell genug unterwegs. Die traurige Wahrheit ist: Das Leben wird dadurch nicht leichter. Es bliebe nur ärmer. Mit jeder neuen Aufgabe, vorausgesetzt, es ist die richtige, wird es reicher.

Also gehe ich wieder an fünf Tagen in der Woche arbeiten (Teilzeit!) und kümmere mich dort um neue Aufgaben. Außerdem haben wir jetzt noch einen Garten und meine Frau hat Tomaten, Gurken und Sonnenblumen gepflanzt. Wir müssen gießen, Rasen mähen, umgraben, Gartenabfälle einsammeln und entsorgen und eigentlich auch noch einen Bungalow renovieren. Wir sind dran, einer langsam, die andere schnell. Was wir in diesem Jahr nicht schaffen, machen wir im vielleicht nächsten Jahr. Und wenn uns alles doch ein bisschen über den Kopf wächst - dann suchen wir uns einfach noch mehr Aufgaben. Wir sind noch nicht fertig. Noch lange nicht!

Veröffentlicht in Arbeit am 26.06.2022 12:00 Uhr.

Klein und lästig

Wie die Sprache immer wieder verrät, was wir wirklich denken. 


In der Arbeit mit behinderten Menschen gab es zuletzt viele sogenannte Paradigmenwechsel. Man besann sich zum Beispiel irgendwann darauf, dass man es nicht mit Kindern zu tun hatte, die unserer Fürsorge anvertraut waren, sondern mit Partnern, die zur Teilhabe berechtigt, ja berufen waren. Als ich meine berufliche Laufbahn in der Behindertenhilfe begann, gab es in der dortigen Praxis durchaus noch die Vorstellung, dass die dort lebenden Menschen in erster Linie zu erziehen seien. Die dabei angewandte Methodik war in Teilen auch damals schon fragwürdig. Dass das aber auf einmal alles falsch sein sollte, haben nicht alle der schon länger Mitarbeitenden sofort und unmittelbar verstanden und verinnerlicht. Man war entsetzt. Ungefähr das gleiche Entsetzen spiegelt sich jetzt auch in den Äußerungen der Fachleute und Experten in den Jobcentern. Die Arbeitslosen werden ihnen „auf dem Kopf herumtanzen“, wenn es zu der geplanten Lockerung der Sanktionen komme. Man hätte nichts mehr in der Hand. Genau das haben die langgedienten Wohnheim-Mitarbeiter auch gesagt, als man ihnen erklärte, der Entzug von Mahlzeiten oder das Wegschließen des Fernsehers sei mit dem Leitbild der Einrichtung nicht länger vereinbar. 

„Auf dem Kopf herumtanzen!“ Was ist denn das überhaupt für ein albernes Sprichwort? Ich kenne nur die Wendung „auf der Nase herumtanzen“. Dabei stellt man sich vor, dass man irgendetwas sehr Kleines aber durchaus Lästiges direkt vor Augen hat, aber seiner nicht Herr wird. Wenn einem etwas oder jemand auf dem Kopf herumtanzte, würde man es ja nicht sehen und es würde einen folglich auch nicht stören. Unser liebes Kind tanzt uns, seinen braven Eltern,  zum Beispiel gerade täglich auf der Nase herum. Dabei ist unser Kind natürlich noch sehr klein aber er ist uns selbstredend keinesfalls lästig. Nur sein Verhalten ist es zuweilen. Wahrscheinlich haben alle Kinder ein sicheres Gespür dafür, mit welchem Betragen sie ein eben noch in sich ruhendes Elternteil auf die Palme bringen können. Mit diebischer Freude kosten sie dann ihre neu gewonnene Macht aus. 

Bei aller Verzweiflung weiß man als Mutter oder Vater aber doch, dass man mit dem noch so unerwünschten Verhalten nicht als Person herausgefordert oder in Frage gestellt wird. Oder man sollte es zumindest wissen. So eine Einstellung könnte man dann schon professionell nennen. Noch mehr als von Eltern kann man Professionalität doch eigentlich von den Mitarbeiterinnen im Jobcenter erwarten. Eigentlich. Aber auch und gerade „eigentlich“ soll man ja eigentlich nicht sagen. 

Veröffentlicht in Arbeit, Elternzeit am 26.05.2022 8:30 Uhr.

Im Tierpark

Wenn man will, dass etwas ordentlich gemacht wird, macht man es am besten selbst. 

Kinder lieben Tiere. Das glauben zumindest die Erwachsenen. Wir dachten das auch und fuhren mit unserem Kind in den Tierpark. Es gibt dort einen Ticketautomaten und eine entsprechende Vorrichtung zur Zugangskontrolle. Man steckt sein Ticket in einen weiteren Automaten und kann dann ein Drehgitter passieren. Soweit, so einfach. Normalerweise stellt man sich vor das absperrende Gitter, drückt es vorwärts und geht dabei hindurch. Ich bin schon hundertmal durch solche Gitter gekommen, ohne darin stecken zu bleiben, aber diesmal hatte offenbar irgend etwas in mir Bedenken. Frau und Kind hatten die Sperre schon passiert, nur ich stand noch draußen. Ich ließ mein Ticket verschwinden und wieder herauskommen, es klickte und ich griff  beherzt neben mich, um das Gitter vor mir an mir vorbei zu drehen. Hinein kam ich so freilich nicht. Ich stand nach der Drehung des Gitters noch am selben Fleck wie vorher und die Sperre rastete wieder ein. Ich steckte mein Ticket noch einmal ein und im Display erschien die Information, ich sei bereits eingetreten. Das Kind schien auch dieser Meinung zu sein und rannte los. Meine liebe Frau musste hinterher und ich stand mutterseelenallein, wie früher nach dem Abschied am Bahnhof Friedrichstraße. 

Es war sogar noch schlimmer, denn damals hatte ich wenigstens noch meine Eltern bei mir, die auch nicht rüber durften. Diesmal gab es niemanden mehr, der mich getröstet hätte. Meine Frau drehte sich noch einmal um und riet mir von ferne, ein neues Ticket zu lösen. Nichts lag mir ferner, aber es schien für den Moment die einzige Möglichkeit zur glücklichen Zusammenführung unserer so jäh getrennten Familie zu sein. Ich kaufte also noch eine Eintrittskarte, wenigstes ermäßigt.

Unser Kind hielt sich unterdessen nicht lange mit den Tieren auf. Er erinnerte sich, dass es hier einen Bagger geben musste und da mussten wir hin. Da konnte der Pfau noch so traurig rufen, es musste gebaggert werden. Zicklein, Esel, Uhu und Sattelschwein mochten um die Aufmerksamkeit unseres Söhnchens buhlen, es kümmerte ihn nicht weiter. Die Tiere waren hier gut versorgt, aber wer kümmerte sich um den Bagger? Hin und wieder kam mal ein anderes Kind vorüber, dann machte er bereitwillig Platz. Aber die anderen konnten es einfach nicht, hatten nicht die nötige Geduld oder sie hatten Wichtigeres zu tun: Sie mussten essen, sie mussten trinken, sie mussten dies, sie mussten das. Was bieb ihm anderes übrig, als es allein zu machen? Danach muss man als Müllmann den Müll wegfahren. Und dann muss man auch schon wieder in den Kindergarten. 


:end

Veröffentlicht in Elternzeit, Arbeit, Kindergarten am 16.05.2022 14:09 Uhr.

Zurück im Büro

Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie man zwei Löcher ins Papier bekommt. Wenn man aber im Büro überleben will, gibt es nur eine. 


Das locherlose Büro ist, genau wie die Abwendung vom Leitz-Ordner, eines jener Hirngespinste aus meiner Zeit als Student und Berufsanfänger. Ich dachte damals, man müsse „Büro“ einfach neu denken und wollte mich von den überkommenen verkrusteten Traditionen und Strukturen befreien. Ich belächelte die Kommilitoninnen, die mit diesen - wie ich meinte - Relikten bourgeoisen Intellektuellentums die Seminartische belegten. Ich beschrieb A5 Blätter, die ich einmal faltete, am Falz beschriftete und in Karteikästen einsortierte. Heute weiß ich es besser: Am Leitz kommt nun mal keiner vorbei und zum Leitz gehört der Locher,  ob man nun will oder nicht. Als sich nun die ersten Papiere auf meinem Schreibtisch zu sammeln begannen, fand ich beim Büromaterial zwar jede Menge Ordner, aber ich hatte keinen Locher. Das wunderte mich nicht weiter, denn in meinem Büro stand auch kein Bürostuhl. Meine Vorgängerin hätte ihren eigenen dabeigehabt, hieß es. Warum sollte sie nicht auch ihren eigenen Locher dabeigehabt haben? 

Auf der Suche nach einem geeigneten Stanzgerät landete ich folgerichtig bei dem Kollegen, der das Büromaterial bestellt. Diese Position macht einen beliebt, gern gesehen und sie verleiht Macht. Bevor man hier auch nur einen Bleistift bekommt, muss man sich erstmal einen Status erarbeiten, der einen für den alleinigen Gebrauch eines Bleistifts qualifiziert. Bis man gar einen eigenen Locher bekommt, ist es ein langer und steiniger Weg. Ich bin ihn gegangen. Und ich bekam meinen Locher. 

Und was für ein Locher! Es ist der Porsche unter den Lochern. Two hole punch. Schwarz. Ich war begeistert. Und gerührt. Ich hatte es geschafft. Allein die Tatsache meiner Rückkehr an diesen Arbeitsplatz hatte mir diesen Status verschafft und ich musste nun nicht wegen jeden einzelnen Loches zum Bittsteller in einem der Nachbarbüros werden. Mein Blick wanderte über die Weiten meines Schreibtisches und suchte nach einem würdigen Platz für dieses Symbol meines märchenhaften Aufstiegs. Und ja, da war ein Platz zwischen Monitor und Büroklammerspender, doch dort stand schon etwas. Auf der Oberfläche dieses Gegenstandes haftete ein Klebezettel, darum hatte ich ihn nicht als das wahrgenommen, was es nun mal war: Ein Locher. Two hole punch. 

Veröffentlicht in Büro, Arbeit am 12.05.2022 18:50 Uhr.

Made with Goldfish

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