Baum_Sonne

Nachrichten vom liedersaenger

Vater und Sohn 


Unser Ältester (3 Jahre) hegt seit langem den Wunsch, mit der Eisenbahn zu fahren. Das ist ein leicht zu stillendes Begehren dachte ich, noch dazu kostenneutral und auch für mich ein schönes Erlebnis. Aber wie das so ist: Immer kam etwas dazwischen. Erst war es zu heiß, dann war es zu kalt und schließlich kam auch noch Besuch. Dann fiel am Sonntag nach dem Mittagessen die Entscheidung: Wir fahren! Vater und Sohn zogen kurz entschlossen zum Bahnhof, die Mutter und das Baby winkten am Fenster, eine Szene wie aus dem Bilderbogen. Ich lief zu großer Form auf: „Papi, warum fährt die Eisenbahn auf Schienen?“ „Weil die Räder aus Eisen sind. Die würden die Straße kaputt machen.“ „Papi, was ist Eisen?“ Ich überlegte, ob es schon Zeit für eine Einführung ins Periodensystem war. Ordnungszahl und spezifisches Atomgewicht müsste ich kurz googeln. Aber dann fuhr die Bahn ein und brachte das Kind auf andere Gedanken. Auf der Rückfahrt sahen wir an einem Bahnhof eine steil aufragende Struktur sich in den Himmel recken, nach deren Wesen sich das neugierige Kind umgehend erkundigte. „Das ist ein Sendemast mit einer Antenne.“ „Was kann man damit machen?“ „Damit kann man Funksignale übertragen.“ „Papi, was sind Funksignale?“ Ich glaube nicht, dass mein Vater mir  solche Fragen beantworten musste, als ich drei war. Nicht, dass es nicht schon Funksignale gegeben hätte. Immerhin wurde die S-Bahn von Hennigsdorf nach Velten per Funk abgefertigt: „Zug Anton nach Velten Türen schließen. Zug Anton nach Velten abfahren.“ Aber so etwas fragt man einfach nicht! Vielleicht habe ich es aber doch gefragt, denn immerhin hatte ich eine Antwort parat und woher sollte ich die haben, wenn nicht von meinem Vater. „Bei Funksignalen handelt es sich um elektromagnetische Wellen, die zu ihrer Ausbreitung keine Kabel benötigen.“ Das hatte gesessen. Erst mal keine weiteren Fragen. 

Ich glaubte nun nicht anders, als dass ein restlos zufrieden gestelltes Kind mir nach Beendigung unseres einstündigen Ausfluges seine grenzenlose Dankbarkeit entgegenbringen und die liebe Seele nun Ruhe haben würde. „War das ein schöner Ausflug, lieber Papi!“, so würde er zweifellos zu mir sprechen und der staunenden Mutter über das Erlebte berichten und das neu Gelernte sogleich mit großer Geste repetieren. 

Dementsprechend groß war meine Enttäuschung, als mein Sohn nach Aussteigen und Lockführer winken mit Nachdruck erklärte, er wolle mit der Eisenbahn fahren. „Aber wir sind doch gerade mit der Eisenbahn gefahren…“ „ICH WILL JETZT MIT DER EISENBAHN FAHREN!!!“ Einen solchermaßen lamentierenden und jammernden kleinen Jungen hinter mir her zerrend, versuchte ich völlig verdattert vom Bahnhof nach Hause zu kommen. Passanten sahen uns kopfschüttelnd hinterher, fassungslos über den engstirnigen Vater, der seinem armen Kind zu Zeiten des 49-Euro-Tickets ein billiges Vergnügen ganz offensichtlich halsstarrig verweigerte. Die Mutter kam uns, die Klage von Weitem vernehmend, entgegengelaufen, um den Wüterich zu trösten. Dabei war ich es doch, der Trost und Zuspruch gebraucht hätte! Die Kehle wie zugeschnürt und mit zusammengepressten Lippen sah ich zu, wie meine wunderbare Frau das weinende Kind ganz allmählich wieder zur Ruhe brachte. Und ein letzter Stoßseufzer entrang sich endlich meiner verzweifelten Brust: „Wie ein Dreijähriger!“

Veröffentlicht in Elternzeit  am 21.07.2023 11:11 Uhr.

Der Papa muss ins Bett

Das Tagesgeschäft heißt so, weil man dafür einen Großteil der Zeit eines Tages aufwenden muss. Ganz klar!


Das Kind hat einen für sein Alter doch schon recht ansehnlichen Wortschatz. Neben einer erklecklichen Anzahl Wörter, die wir selbst noch nicht kennen, enthält er auch das Wörtchen „Nein“. Es wird klar und deutlich ausgesprochen und ist eigentlich die Antwort auf jegliche von uns gestellte Frage. Das Partikelchen „Ja“  ist hingegen nicht Bestandteil des Vokabulars. Das mag seiner Partikelhaftigkeit geschuldet sein oder andere Gründe haben, jedenfalls wird das Wörtlein nicht benutzt. Stattdessen wird bei Zustimmung der Fragesatz wiederholt. Man könnte meinen, der Befragte halte sich auf diese Weise alle Optionen offen, denn er hätte ja weder ja noch nein gesagt. Damit befände man sich aber auf dem Holzweg und täte dem Kinde unrecht, handelt es sich doch um ein Verfahren, das im fernmündlichen Zugmeldedienst Anwendung fand und findet und als solches strengen Sicherheitsstandards unterliegt. Darf die Zugfahrt stattfinden, wird die Meldung wiederholt, um sicherzustellen, dass alle notwendigen Informationen angekommen sind und man nicht stille Post spielt. Andernfalls genügt ein schlichtes „Nein, warten“.

Nachdem nun also festgestellt wäre, dass das Kind die Grundlagen der Funk – und Fernmeldedidisziplin aus dem Effeff beherrscht, können wir uns wieder dem Tagesgeschäft widmen. Dessen wünschenswerter Vollzugsort sind wahlweise die Klosettschüssel oder das Töpfchen. Da mein Kind inzwischen herausgefunden hat, dass sich alle Beschäftigungen von Buch angucken über Puppenkiste auspacken bis hin zu Autos fahren lassen auch bequem im Sitzen vom Töpfchen aus durchführen lassen, verbringen wir heute dort einen Großteil der Zeit zwischen Frühstück und Mittagessen. 

Die Frage, ob man nun mit dem Anziehen fortfahren könne, wird nicht wiederholt, sondern verneint, wobei diesmal sogar noch eine Begründung angeführt wird, was eigentlich gar nicht notwendig wäre: Man wolle in Ruhe kacken. Diesem Vorgang wurde zuletzt so viel wohlwollendes elterliches Interesse zuteil, dass man dessen in die Länge ziehen nun geradezu als Verbesserung der Compliance und Geste der Zuwendung deuten muss und ihn nicht etwa unterbrechen oder zurückweisen darf. In diesem Sinne verbringen wir heute also den gesamten Tag vor dem kindlichen Thron. Und hinterher: Hände waschen nicht vergessen. Und schon ist wieder Schlafenszeit und der Papa muss ins Bett. 

Veröffentlicht in Elternzeit  am 25.01.2022 13:30 Uhr.

Seifenoper

Glücklich sein ist eine Entscheidung. Oft wollen wir uns aber lieber fürchten. 


Wir machen es uns gemütlich, mein kleiner Junge und ich. Das machen wir jeden Tag, oder besser: Wir versuchen es. Oder noch besser: Ich gebe mir Mühe. Wir machen es immer genau so lange, bis es ungemütlich wird. Ungemütlich ist es zur Zeit jedenfalls draußen. Draußen hat es sich noch nicht entschieden, ob es nun Winter oder Herbst sein will. Es steht Unentschieden zwischen den beiden. Wenn sie nicht aufpassen, wird der Frühling das Rennen machen. Drinnen wird es ungemütlich, wenn ich dem Kind nicht mehr zu Willen bin. Das halte ich inzwischen schon ganz schön lange durch und darum haben wir es auch recht lange gemütlich. Aber irgendwann kommt immer der Zeitpunkt, da will die Säge sägen. In der Auseinandersetzung unserer autonomen Systeme kann es kein Unentschieden geben. Ich muss gewinnen. Wo kämen wir sonst hin? 

Nun, wir behielten den ganzen Tag die Schlafanzüge an, es gäbe weder Frühstück noch Mittag und gegen den kleinen Hunger zwischendurch würden wir Nüsse knabbern. Die Entropie in unserem geschlossenen System wurde stetig und rasant zunehmen, bis alle Materie gleichmäßig in der Wohnung verteilt wäre. Das wäre dann der Wärmetod unseres Universums. Obwohl es natürlich interessant wäre, ob und wenn ja wann das Kind gedächte, von sich aus den Schlafanzug auszuziehen. Oder gar die Toilette aufzusuchen. In zwei Jahren soll er das ja alles können. Ich möchte gern miterleben, wenn sich dieser abrupte Sinneswandel seiner bemächtigt. Aber wahrscheinlich wird er stattdessen irgendwann mit einem selbst gemalten Schild „Betreten verboten“ aus dem Kindergarten zurückkehren und die Tür zuknallend in seinem Zimmer verschwinden, aus dem er dann bis zum Ende der Pubertät nicht mehr herauskommt. Überhaupt: Wie lange dauert eine Seifenoper wirklich, wenn ich sie nicht nach der dritten bis fünften Einseifung unterbreche? Würde das Anhören des Nikolausliedes irgendwann sein natürliches Ende finden, wenn es nicht durch mich beendet wird? 

Den Begriff Seifenoper habe ich auch erst durch unser Kind richtig verstanden. Er bezeichnet die unendlich kreisförmige Prozedur des Händewaschens mit einem Kleinkind: Hande nass machen, Hande einseifen, Hände abspülen, Hände einseifen… Ich fürchte immer, dass es niemals aufhört und sehe mich jedesmal noch am Sankt Nimmerleinstag mit dem Kind die Hände waschen, wenn ich die Prozedur nicht unterbreche. Aber warum? Es ist ein Augenblick mit meinem Kind, der niemals wiederkommt. Könnte ich mein Glück sehen, statt mich zu fürchten, ich wäre zu beneiden, bliebe die Zeit jetzt stehen.

Veröffentlicht in Elternzeit  am 24.01.2022 14:00 Uhr.

Alte Bekannte 

Sie sind lästig, unbequem, schwer loszuwerden und tauchen immer dann auf, wenn man sie gerade gar nicht gebrauchen kann.

Ich schreibe diese Zeilen in den einzig mir verbleibenden zwei Stunden nach Mitternacht, während das Kind eine tiefe Schlafphase hat. Zu allen anderen Zeiten muss ich ihn an meinem Oberkörper tragen und wäre nur in der Lage, beidhändig zu agieren, könnte ich ihn an meine Backe kleben, wie Armin Laschet sein Telefon. Um meinen Rücken zu entlasten, erlaubt er es zu bestimmten Zeiten, dass wir nebeneinander auf dem Bett liegen. Dann steckt er mir Finger in alle Körperöffnungen am Kopf und versucht, mir Zähne aus dem paradontitisch blutenden Zahnfleisch zu brechen, was ihm zweifellos bald gelingen wird. Jedes Spiel muss bis zur Erschöpfung zelebriert werden. Unterbrechungen werden nicht akzeptiert. Verantwortlich für sein leibliches Wohl kann ich nurmehr Mahlzeiten zubereiten, die sich mit einer Hand anfertigen lassen: Haferflocken, Hirse, Couscous, Reis. Ich fürchte um seine Unversehrtheit, denn leicht könnte er mich im Spiel tödlich verletzen und wäre dann allein und unbeaufsichtigt, bis seine arme Mutter endlich heimkehrt. Welch schreckliches Bild böte sich ihr: Ich, verblichen, begraben unter den Trümmern unserer Heimstatt; das verzweifelte Kind, das versucht, mich am Arm unter dem umgestürzten Buffet hervor zu ziehen: Papa! Mitkomm!!

Die Frau, die ich liebe, sagt: „Das sind die Zähne.“ Zweifellos! Bei mir sind es auch die Zähne. Und außerdem noch Rücken, Knie, Darm, Galle und Blutdruck. Ach, meine liebe Frau. Sie muss allein im großen Bett liegen, weil ich noch vor Morgengrauen zum Greinenden eilen muss, um seinen Hunger nach Nähe, Wärme und Geborgenheit mit meiner ganzkörperlichen Zuwendung zu stillen. Warum schaffen wir es nicht, ihn am Tage damit zu sättigen? Am Abend sitzt sie wieder lange allein, während ich lange beim Kinde sitze, das lange nicht einschlafen kann. „Er ist nicht müde genug“, sagt meine schöne Gefährtin. Wohl! Dafür bin ich müde genug für uns drei zusammen. 

Aber wenn die Großeltern, Freunde oder Bekannte kommen oder wenn wir mit ihm Besuche machen, dann brilliert er. Er führt Kunststückchen vor, dass alle applaudieren, er rezitiert Gedichte und spricht die schwierigsten Wörter nach. Er ist fröhlich und nimmt kaum noch Notiz von mir. Ich kann den Raum, die Wohnung, das Haus verlassen, er könnte mich im Regen ohne Jacke mit hängenden Schultern fortgehen sehen; es kümmerte ihn nicht. Sobald er jedoch mit mir allein ist, erzwingt er Nähe und Körperkontakt mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote stehen. „Er ist müde“, sagt meine Frau. Und da wären sie also wieder, die drei Geißeln der Menschheit: Die Schlaflosigkeit, die Müdigkeit und die Zähne. Alte Bekannte. 

Veröffentlicht in Elternzeit  am 06.11.2021 5:00 Uhr.

Der Sachse

In Sachsen wird nicht immer alles gleich gemacht, nur weil es geschrieben steht. Und im Erzgebirge schon mal gar nicht.

Meine Frau, die ich sehr liebe, hat Zwiebelkuchen gebacken. Unser Kind verkostete die Speise, sagte „Nein“ und aß nur den Boden. Am Abend verspeiste es dann ein ganzes Stück oder mehr mit samt der Schmand-Ei-Zwiebel-Decke. Meine Frau zwinkerte mir zu und formulierte einen Merksatz, der ungefähr beinhaltete, „Nein“ heiße zwar „Nein“, aber das müsse noch gar nichts heißen. Ich nickte und erzählte zur Illustration die Geschichte, wie ich in Bamberg einmal zum Rauchbier einkehrte. Die ersten drei halben Liter würgte ich mit zugehaltener Nase herunter aber danach lief es!  Oder Federweißer! Er schmeckt eigentlich gar nicht, aber zum Zwiebelkuchen ist er ein Muss. Ich konnte tatsächlich eine Flasche auftreiben. Auf dem Etikett stand „FLASCHE NUR STEHEND TRANSPORTIEREN“. Langsam wurde mir die Gängelei nun aber doch zu viel: Jetzt wird mir also auch noch vorgeschrieben, wie ich meine Flaschen nach Hause zu tragen habe! Nicht mit mir! Ich setzte (!!!) mich demonstrativ ins Auto und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Freie Fahrt für freie Bürger! Schließlich sind wir hier in Sachsen! 

Leider ist Sachsen jetzt aber auch blau. Blau ist eigentlich eine schöne Farbe. Aber das Blau, das jetzt auf den Wahlergebnis-Karten Sachsen und Thüringen einfärbt, finde ich eher beängstigend.  Andererseits muss man sehen, dass es genau die Stimmen sind, die der CDU und der Linken verloren gegangen sind. Das finde ich wiederum gut. Mehr konnte man eigentlich auch nicht erwarten, schon gar nicht, dass sie hier vielleicht noch grün wählen. Ehe sie gar nicht wählen, sollen sie also meinetwegen blau wählen. Genützt hat es den Blauen nichts und den Schaden haben auch die Richtigen. Am Anfang war ich entsetzt, aber jetzt bin ich doch ganz zufrieden: Das haben wir gut gemacht! Meine Frau jedenfalls, die ich sehr liebe, hat gleich gesagt: Es hilft nichts, den Sand in den Kopf zu stecken.  Wo sie recht hat, hat sie recht. Meine Frau hat nämlich eigentlich immer recht. „Die Flasche war offen!“ sagte ich, als ich nur noch die Hälfte vom Federweißer mit nach Hause brachte, weil die andere Hälfe im Auto ausgelaufen war. „Federweißer ist immer offen“ sagte sie sanft, „er explodiert sonst.“ 

Wenn er nicht umkippt, passiert also nichts Schlimmes, selbst wenn er durchgeschüttelt wird.  Als Solist ist er nicht gerade groß, aber im kleinen Ensemble kann er ein paar Stärken ausspielen. Und ich dachte: So ist er eben, der Sachse. Hauptsache, er explodiert nicht. 

Veröffentlicht in Elternzeit  am 02.10.2021 4:00 Uhr.

So viele Möglichkeiten 

Über das Burnout-Risiko bei der Hausarbeit und über zweckfreies Spielen.

Ich gehöre zu einer schon viel zu lange unbeachteten Minderheit, nämlich zu jenen Menschen, die gar keine besondere Beziehung zu ihrem Staubsauger unterhalten. Ich besitze einen, ja, aber da meine Frau auch einen hat, lagerte ich meinen seinerzeit auf dem Dachboden ein. Es handelt sich um einen recht raumfordernden Kesselsauger, der auch Flüssigkeiten aufsaugen kann. Es ist noch mein erster Staubsauger, den mir meine Mutter bei Quelle bestellt hat. Beutel gibt es dafür nicht mehr, weshalb ich zuletzt nur noch sehr sparsam gesaugt habe. Überhaupt bin ich der Meinung, dass Hausarbeit letztlich auch nur Arbeit ist, in die man sich nicht hineinsteigern darf, weil sonst unausweichlich ein Burnout droht. Ob es nun um fensterputzen, staubsaugen oder abwaschen geht - hier extra klein geschrieben - , gilt es immer, den Ball flach zu halten. Wenn man irgendwann einmal nachts aufwacht und sich selbst laut „Staubsauger“ sagen hört, muss man in die Sprechstunde.  

Obwohl unser Sohn von Seiten seiner Eltern nun keineswegs vorbelastet ist, zeigt er doch eine recht ausgeprägte einschlägige  Symptomatik. Obwohl er das Wort „Staubsauger“ wegen der Zischlaute noch gar nicht aussprechen kann, erwachte er doch mitten in der Nacht, laut das synonyme Ersatzwort skandierend. (Es lautet in der kurzen Variation „Koppa oder Kauppa“, lang „Kaup-Jauger“.) Außerdem vernachlässigte er die Mahlzeiten für die Beschäftigung mit dem Haushaltsgerät. Ich fürchtete schon, er würde das Ding mit ins Bett nehmen, was er gewissermaßen ja auch getan hat. Mit alledem ließe sich ja noch gut leben, wenn das Kind nun tatsächlich auch staubsaugen würde. Das ist aber nicht der Fall. Es verhält sich eher so, dass die Mama hinzugezogen wird, um das Gerät mehr oder weniger bestimmungsgemäß einzusetzen. Tatsächlich einschalten darf sie es freilich nicht. Das entsprechende Geräusch muss mit dem Mund erzeugt werden. Das wäre auch alles noch nicht so schlimm. Nur, wenn die Mama nicht da ist, soll ich auf einmal einspringen. Und da hört sich dann ja wohl alles auf!



Bei mir ist das so: Ich beschäftige mich gern mit allen möglichen Sachen, aber nur, solange die Beschäftigung zweckfrei ist. Sobald irgendetwas Nützliches dabei herauskommen soll, bin ich raus. Als Kind konnte ich stundenlang Uhren oder Radios auseinandernehmen, aber natürlich nicht wieder zusammensetzen. Meinem Kind habe ich jetzt gezeigt, wie man den Staubsauger mit dem Küchenmixer verbinden kann. Wozu das gut sein soll, wissen wir beide nicht, nur, dass es gemacht werden muss. Und es gibt noch so viele Möglichkeiten. 

Veröffentlicht in Elternzeit  am 18.09.2021 4:00 Uhr.

Nichts, das alles ist

Kinder wachsen von ganz allein, Erziehung hin oder her. Erwachsene können mitwachsen, wenn sie das Tempo durchhalten.


Mein Kind weint. Es weint, weil es aufgewacht ist. Es weint, weil es einschlafen soll. Weil wir im Haus bleiben. Weil wir nach draußen gehen. Weil es auf den Arm will. Weil es herunter will. Weil es etwas haben will. Weil es etwas bekommt (das Falsche). Weil es die Hosen voll hat. Weil es gewindelt wird. Sein Weinen macht mich hilflos und ohnmächtig. Ich will, dass es aufhört, aber ich kann es nicht trösten. Ich weine auch. Und ich verzweifle. Aber ich kenne diese Verzweiflung gut. Ich war noch keine zwanzig Jahre alt, da trafen wir uns zum ersten Mal. Ich hatte meinen ordentlich gelernten Beruf bei der Bahn gleich wieder aufgegeben und bei der Kirche als Gehilfe angefangen. Ich dachte, ich gehe einfach weiter in die Junge Gemeinde, so wie vorher auch. Aber auf einmal wollte ich etwas: Etwas bewegen, gestalten, verändern oder auch erhalten. Was auch immer, es funktionierte nicht. Es ging schief. Mir war klar: Das konnte alles nicht klappen, weil ich keine pädagogische Ausbildung hatte. 

Also bewarb ich mich und studierte. Ich las und schrieb, ich hörte und ich schaute zu. Dann versuchte ich es wieder. Im Kirchenkreis suchten sie einen, der eine Gruppe nach ihrer Konfirmation weiter begleitet. Ich sprang ein und dachte, ich könnte und wüßte jetzt alles. Und wieder funktionierte es nicht. Wieder dieses Wollen. Und wieder Scheitern und wieder diese Verzweiflung. So ging es immer weiter, bis jetzt. Da dachte ich: Ich werde doch wohl noch ein einzelnes Kind, noch dazu mein eigenes, betreuen und erziehen können! Und wieder die Erkenntnis: Was ich weiß und kann - es zählt nicht mehr. Jetzt und hier zählt nur noch, was ich bin und was ich tue. 

Was bin ich also? Ich bin Vollzeit-Papa. Was soll ich tun? Ich soll mein Kind lieben. Wie macht man das? Beginnen wir mit lernen. Ich will lernen, worüber sich mein Kind freut: Über einen Deckel vom Obstglas. Über die Lampe an der Decke. Über die Bäume vor dem Fenster. Über ein Gänseblümchen. Über einen Bagger. Über eine Gießkanne voll Wasser. Über Musik. Über Toastbrot zum Frühstück. Er freut sich, wenn ich singe. Wenn ich mit ihm lache. Wenn ich mit ihm in die Stadt fahre. Wenn ich mit ihm ein Buch anschaue. Er freut sich, wenn ich ganz nah bei ihm bin. Und er freut sich, wenn seine Mama endlich wieder da ist. Und so wird aus meiner Verzweiflung durch seine Freude ganz allmählich meine Freude. Freude über (scheinbar) nichts, das aber alles ist.

Veröffentlicht in Elternzeit  am 17.07.2021 4:00 Uhr.

Trainerwechsel

Fußball und Elternschaft haben absolut gar nichts gemeinsam. Das ist aber auch das Einzige, was die beiden verbindet. 


Mein Sohn und ich hatten das große Vergnügen, meine Frau bei der Auffrischung ihrer vielfältigen Sozialkontakte begleiten zu können. Man traf sich in einem verträumten Dörfchen bei Leipzig mit dem wohlklingenden Namen Liemehna. Unsere Unterkunft befand sich auf einem alten Pfarrhof, der unmittelbar an den Friedhof grenzte. Mein Söhnchen ließ sich am Sonntagmorgen dort von mir spazieren tragen, als uns ein Einheimischer anredete. Es ging zunächst um den Schnuller, dass er ihn nicht zu lange haben dürfe, er wisse das von seinen Enkeltöchtern. Zu seiner Zeit hätte man darum noch nicht so viel Aufhebens gemacht, aber heute müssten die Kieferorthopäden eben auch Geld verdienen. Ich dachte: Vielleicht war das Sächsische ja Folge eines früh verformten Gaumens? Laut sagte ich: „Nee, aus’m Fenster werf’ ick sein Schnuller nich’, ick bin doch nich’ lehmsmüde!“ Dann fragte der Mann, ob ich aus dem Erzgebirge käme. Ich freute mich, bejahte und fragte zurück: „Hört man, wa?“ Er ging nicht weiter darauf ein, erzählte von seinen Töchtern, die in Jöhstadt wohnten und wünschte uns dann einen guten Tag. Als wir weitergingen, sah ich, dass vor dem Friedhof ein Auto unserer Gruppe mit Kennzeichen ERZ parkte. Ach so. 

Das aber nur am Rande. Viel gravierender war, dass unser Kind in seinem Sozialverhalten ohne Vorwarnung eine 180-Grad-Wende vollzog. Ich hatte mich eigentlich darauf eingestellt, meine Frau bei den anderen zu vertreten, weil es bisher immer so war, dass ich nicht viel bei meinem Kind ausrichten konnte, wenn seine Mama in der Nähe war. Seit wir nun in Liemehna angekommen waren, zeigte der Junge zunächst eine seltsame Anhänglichkeit mir gegenüber. Dann schrie er plötzlich los, wenn ich mich entfernen wollte und schließlich ließ er sich nicht mehr von der leiblichen Mutter ins Bett bringen. Ich verlor nun doch ein bisschen die Contenance und guckte wie Jogi Löw nach dem 0:2 gegen England. Auch meine Frau wurde traurig, sagte aber, sie freue sich für mich. 

Wie konnte es soweit kommen? Vielleicht war es das Duschbad: Wir hatten nur das meiner Frau mit und ich duftete, wie sie (soweit das überhaupt möglich ist). Ich tröstete sie (und mich), wenn ich wieder auf meinen Männermief umstiege, wäre wieder alles, wie immer. Nicht, dass ich mich nicht auch über mehr Zuneigung unseres Sohnes freuen würde. Aber ich finde, er sollte dafür in seiner Frustrationstoleranz noch etwas stabiler werden. Andererseits hilft es nichts, den Kopf in den Sand zu stecken, wenn die Zeit nun mal gekommen ist: Trainerwechsel. 

Veröffentlicht in Elternzeit  am 03.07.2021 4:00 Uhr.

An meiner Seite

Es gibt Aufgaben, denen man(n) einfach nicht gewachsen ist. Dann zu Boden zu gehen, ist keine Schande. Nur liegenbleiben wäre eine. 


Kaputt. Im Eimer. Am Ende. Nichts hat mich in meinem ganzen Leben bisher so nahe an meine Grenzen geführt, wie die Ereignisse der vergangenen zehn Tage. Keine Aufgabe in meiner bisherigen Laufbahn erscheint mir rückblickend nur annähernd so herausfordernd und kräftezehrend wie die Betreuung meines kleinen Kindes während einer vorübergehenden Unpässlichkeit. Das Demütigende daran ist nicht, dass meine großartige und wunderbare Frau solche Phasen im zurückliegenden Jahr absolvierte, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren und nebenbei noch den Haushalt erledigte, während ich mit der Erzgebirgsbahn spazieren fuhr. Weil ich diese Fähigkeiten bei ihr ahnte, habe ich ihr einen Heiratsantrag gemacht! Nein, das Demütigende daran ist, dass nahezu alle Mütter dieser Welt Tag für Tag klaglos diese Arbeit machen, die sie selbst gar nicht als Arbeit ansehen und an der ich unter großem Wehgeschrei nun beinahe zerbrochen wäre. 

Es begann mit Fieber. Dann kamen die roten Punkte. Schließlich verschwand das Fieber wieder, wir frohlockten, aber jetzt ging es erst richtig los. Das Kind schien sich zurückzuentwickeln. Erst wollte er nicht mehr laufen. Dann wollte er nicht mehr essen. Er ließ sich nicht mehr windeln, nicht mehr an-, nicht mehr ausziehen. Ich dachte: Wenn es so weitergeht, muss die Hebamme noch mal kommen. Nun sagt ein fünfzehnmonatiges Kind ja nicht einfach „nein“ oder „stopp“ oder „ich will nicht“, sondern es schreit. Ach was, es brüllt, es schmeißt sich auf die Erde, es tobt, es strampelt, es schlägt um sich. Schließlich wollte er nur noch getragen werden. Aber nicht stehen bleiben! Nach rechts! Nach links! Haaaaalt! Zuuuurüüüüüüüück. Ich musste um den Wohnzimmertisch herumtraben. Ich begann zu galoppieren, um wenigstens kurz die Illusion von Selbstbestimmtheit zu haben. Erst die Ankunft der Königinmutter, ihre liebliche, vertraute Gestalt, der Klang ihrer Stimme, vermochte ihn zu besänftigen und er ließ von mir ab. Mit gebrochenem Rücken niedersinkend hörte auch ich sie und fühlte ihre liebe Hand kühlend auf meiner heißen Stirne: „Ich bin wieder da, mein Geliebter. Ruhe du nun.“ Und sah im Gegenlicht weichgezeichnet Mutter und Sohn mir zulächeln, ihn seine Hand wie segnend nach mir ausstrecken. 

Nun kommt meine Frau ja nicht vom Shoppen nach Hause. Sie kommt von ihrer schwierigen Arbeit bei psychisch kranken Menschen und wirft sich sofort wieder in die Bresche, macht den Wocheneinkauf, hängt Wäsche auf und kocht für uns. Das alles macht sie mit links. Auf dem rechten Arm trägt sie dabei das Kind, tröstet es und bringt es in den Schlaf. Dann kommt sie zu mir und wischt meine Tränen ab. Und ich weiß wieder: Ich kann es doch schaffen. Mit ihr an meiner Seite.

Veröffentlicht in Elternzeit  am 19.06.2021 4:00 Uhr.

Die Comic-Helden aus der Zeitung

Notlösungen sind keine Lösungen: Die Kinder brauchen endlich wieder Kontakt. 


Nur weil die Gaststätten jetzt wieder Angebote im Außenbereich machen könnten, heißt das nicht, dass gleich wieder Tische und Bänke auf Gehwegen und Freiflächen stehen. Mein Sohn und ich suchen regelmäßig die Altstadt und Umgebung nach solchen Anomalien ab. Bis jetzt leider Fehlanzeige. Wobei man fairerweise sagen muss, dass das auch vor der großen Seuche der Fall war. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass unsere Region zurzeit von Gewittern mit teilweise sehr heftigen Starkregenfällen heimgesucht wird. Das bringt mich als Erziehenden ein bisschen in Schwierigkeiten, denn unser Kind soll ja den gewaltfreien Kontakt mit anderen Erwachsenen kennenlernen und einüben können. Wo soll das bitte stattfinden, wenn nicht im Biergarten? Dabei wurde meiner Frau und mir der Biergartenplatz schon im vergangenen Jahr zugesichert, als wir unseren ersten Hochzeitstag in der von uns bevorzugten Einrichtung begingen.  

Die Biergärten waren ja jetzt lange genug geschlossen und die leidtragenden sind wieder mal die Schwächsten: unsere Kinder. Ich hatte mir unsere Vormittage so schön ausgemalt: ein Wanderspaziergang bei Sonnenschein bis zur Köhlerhütte mit ihrem zum Biergarten gehörenden Kinderspielplatz; das Mittagessen würde uns serviert einschließlich Kinderteller. Für den Mittagsschlaf hoffte ich, ein Reisebett dort deponieren zu können. Und wenn das Kind einmal lange schläft, könnte uns  die Mama bestimmt mit dem Auto abholen. 

Das alles ging bislang nicht wegen der Seuche und geht jetzt nicht bei Klimabedingungen wie im Regenwald. Die Köhlerhütte will ihren Biergarten auch erst wieder zum kommenden Wochenende öffnen. Bis dahin müssen wir unser Kind also noch zu Hause betreuen. Das geht schon auch, aber die anderen Erwachsenen fehlen eben. Ersatzweise lesen wir ihm aus der Zeitung vor: Vom Jens und vom Hubertus, von der Annegret und von der Angela, vom Armin und vom Markus. Wie sie sich zanken und wieder vertragen. Wie sie gemein zueinander sind und sich dann nicht entschuldigen wollen. Das kann aber nur eine Notlösung sein, bis sie endlich wieder in Wirklichkeit am Nachbartisch sitzen: Richtige Menschen von hier und nicht nur die Comic-Helden aus der Zeitung. 

Veröffentlicht in Elternzeit  am 12.06.2021 4:00 Uhr.

Blumengießen bei Regenwetter

Man muss nicht alles mitmachen, auch nicht um des Friedens willen. Manches darf man auch gar nicht. 


Mein Vater erzählte mir vor ein paar Jahren, wie seine Mittagsruhe durch fortwährende Trampelgeräusche aus der Wohnung über ihm gestört wurde.  Als er sich bei nächster Gelegenheit nach der Ursache erkundigte, erzählte ihm sein Nachbar, dass der Enkel zu Besuch war und mit seinen Großeltern Zirkus gespielt hätte: Er hätte auf dem Couchtisch gestanden und Oma und Opa immer um den Tisch herum traben lassen. Der Nachbar hätte das mit unverhohlenem Stolz berichtet. Mein Vater ließ damals durchblicken, dass man auch um des lieben Friedens willen nicht jeden Blödsinn mitmachen müsste und ich stimmte ihm kopfschüttelnd zu. So züchtet man Diktatoren und Tyrannen heran und erzieht keine Christenmenschen, die Vater und Mutter ehren und ihnen im Alter eine Stütze sind. Heute stelle ich fest: Meine Frau und ich traben noch nicht um den Tisch herum. Aber es fehlt auch nicht mehr viel. 


Man ist doch immer bereit, Zugeständnisse zu machen, wenn man dafür seine Ruhe hat. So wäre ich früher nicht auf die Idee gekommen, bei Regenwetter das Haus zu verlassen. Ich wäre schön drin geblieben und hätte mir schon irgendwie die Zeit nicht lang werden lassen. Nun bin ich aber nicht mehr allein auf der Welt und meinem Kind ist das Regenwetter egal. Es will hinaus und kann es noch nicht allein. Also muss ich mit. Natürlich könnte ich mich durchsetzen und das Kind müsste drin bleiben. Allein der Preis wäre zu hoch. 

Vom Blumengießen bei Regenwetter bis zur Zirkusnummer ist es ja auch noch ein weiter Weg. Aber die Richtung stimmt schon mal und es geht Schritt für Schritt voran. So warten wir schon gar nicht mehr, bis wir zu Verhaltensoriginalitäten genötigt werden, sondern versuchen in vorauseilendem Gehorsam zu antizipieren, was einem als nächstes abverlangt werden könnte. Aktuell wetteifern wir beispielsweise um die Bestleistung beim Imitieren von Tiergeräuschen. Der Juror hält sich noch bedeckt, aber ich denke, es zeichnet sich ab, dass ich das Rennen machen werde. Meine Frau ist auch nicht schlecht, aber sie ist einfach wesensbedingt beim Löwen und ähnlichen Brülltieren schwächer. Außerdem denkt sie immer noch zuerst nach, während ich schon google, was mir bei Vogelstimmen und auch beim Zebra bisher noch immer einen Zeitvorteil verschafft hat. Zumindest wenn das Internet funktioniert. Das soll aber sofort, für immer und restlos zusammenbrechen, sollte ich jemals auf die Idee kommen, unser Kind mit Netflix ruhigzustellen. 

Veröffentlicht in Elternzeit  am 15.05.2021 4:00 Uhr.

Made with Goldfish

copyright: liedersaenger

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