Baum_Sonne

Nachrichten vom liedersaenger

Rehe, Rosen und Zitronen

Ein idyllisches Zuhause mit Aussicht auf ein Reh im Garten verspricht harmonische Begegnungen mit der Natur. Doch als das gemeine Reh die Rosenknospen vernichtet, erwachen Ängste vor ungebetenen Besuchern. Die Suche nach Lösungen führt zu ungewöhnlichen Ideen und Zweifeln an vermeintlich sicheren Annahmen. Ein unerwarteter Vorfall bringt eine düstere Wahrheit ans Licht und lässt den Blick auf die Welt der Kinder in einem neuen Licht erscheinen. Inmitten der Tristesse und Bedrohlichkeit bleibt eine letzte Zuflucht: das Gewächshaus, in dem Hoffnung auf fruchtbare Ernte keimt. Doch während die Sorge um die Zukunft wächst, flüstern Gerüchte von einem mysteriösen Video, das die Gemüter in Unruhe versetzt. Eine Geschichte über Verlust, Selbstschutz und die unvorhersehbaren Seiten des Lebens.


Von unserem Küchenfenster aus können wir hin und wieder ein Reh beobachten, das sich im Garten unserer Vermieter etwas zugute tut. Bisher fanden wir das immer niedlich und ganz schön. Das Kind wurde gerufen, wir sahen dem Tiere bei seiner Mahlzeit zu und freuten uns. Mit der Freude war es aber schlagartig vorbei, als in unserem eigenen Garten eines Tages alle Rosenknospen abgefressen waren. Das konnte nur das gemeine Reh gewesen sein und fortan begannen auch wir, über die Sicherung der Außengrenzen unserer Parzelle nachzudenken. Fraglich bleibt auch, ob eine weitere Rehsichtung im fremden Garten jemals wieder Freude auslösen wird, oder ob wir eher dem Waidwerk zuneigen werden, um die grimme, zähnefletschende Kreatur ein für allemal zu vertreiben. Man könnte mit den anderen Gartenpächtern eine Miliz bilden, die rund um die Uhr die Gartenanlage bewacht und das Vieh, wenn schon nicht zur Strecke bringt, dann doch wenigstens dorthin zurücktreibt, wo es hergekommen ist. Sollte sich allerdings herausstellen, dass es sich bei dem gesichteten Tier um ein Wildschwein handelt, müsste man ohnehin über ganz andere Maßnahmen nachdenken. 

Es liegt aber nicht sehr nahe, ein Reh mit einem Wildschwein zu verwechseln. Bei einem Löwen kann das hingegen leicht passieren, wie man jetzt gesehen hat. Ich frage mich allerdings, warum die Suchaktion abgebrochen wurde, nachdem man sich entschieden hat, dass es sich wohl um ein Wildschwein handelt. Als ich noch durch die Wälder meiner brandenburgischen Heimat streifte, war die Angst vor einem aus dem Unterholz brechenden Wildschwein immer präsent und jeder Baum wurde auf seine Erklimmbarkeit hin abgeschätzt. Mit einem wütenden Wildschwein ist nicht zu spaßen und der einzige Unterschied zu einem Löwen ist wohl, dass Letzterer auch auf Bäume klettern kann. Deswegen alle Schutzvorrichtungen abzubauen und zur Tagesordnung überzugehen finde ich nicht sehr verantwortungsvoll. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es sich bei dem gesichteten Tier um ein Reh gehandelt hat, müssten die Maßnahmen aufrecht erhalten werden, wie mein Beispiel oben ja wohl anschaulich genug vor Augen führt. 

Meine armen Kinder müssen nun ohne Rosenblüten zwischen Blattwerk, Gras und totem Stein aufwachsen. Unser Garten: Ein Gleichnis für die trost- und blütenlose Welt, in der sie einmal leben werden. Gut, dass wenigstens Gurken und Tomaten noch einigermaßen verbißsicher im Gewächshaus heranreifen. Während ich dies schreibe, erreichen mich Nachrichten, dass auf Twitter ein verwackeltes Video aufgetaucht ist, auf dem in einem Gewächshaus südlich der Hauptstadt eine Zitrone zu sehen ist. Allerdings sei das Video schwarzweiß und unscharf und es könnte sich dabei auch um ein anderes Gewächs handeln. Aber man weiß ja nie…

Veröffentlicht in Weltgeschichte, Garten  am 29.07.2023 8:00 Uhr.

Subbotnik

Nichts existiert ohne sein Gegenteil - das gilt auch und vor allem für das Schöne im Leben. 


Wir wohnen hier schon sehr schön. Das muss man wirklich mal sagen. Während unseres Urlaubs waren wir auch wieder ein paar Tage in der Hauptstadt zu Gast und anlässlich eines Treffens mit meinem alten Freund Axel wollte derselbe mich überreden, unseren Wohnsitz wieder in die Metropole zu verlegen. Ich lehnte aber dankend ab, denn wir wohnen hier wirklich, wie schon gesagt, sehr schön. Schön ist aber auch relativ. Je nachdem, wie man es betrachtet. So wohnen wir zum Beispiel am Fuße der größten Freilichtbühne Sachsens, was uns die akustische Teilhabe an allen Darbietungen dieser bekannten Spielstätte beschert. Das ist nicht immer schön, vor allem dann nicht, wenn auf Grund der Temperaturentwicklung am Tage die Fenster in den kühleren Abendstunden geöffnet werden müssen. Aktuell wird das „Black-Mountain-Festival“ gefeiert. Tiefergelegte Männerstimmen gröhlen im 4/4-Takt Tonfolgen im  5-Ton-Raum. Wer allerdings darauf steht, wohnt hier nicht nur sehr schön, sondern geradezu traumhaft schön. 

Zu dem Schönen unseres derzeitigen Wohnsitzes gehört auch der kleine Garten, den wir nun schon den zweiten Sommer nutzen. Ich pachte ihn von einem Kleingartenverein, in dem ich natürlich Mitglied sein muss und als solches habe ich gewissen Pflichten nachzukommen. Verpflichtend ist zum Beispiel die Gemeinschaftsarbeit. Das ist nun auch wieder weniger schön, denn die findet jeweils an einem Sonnabendvormittag statt, an dem man ja in seinem eigenen Garten auch genug zu tun hätte. Andererseits fiel mir in diesem Zusammenhang ein, dass ich nach einem Aufenthalt in Israel seinerzeit am liebsten Kibbuznik geworden wäre. Das Kleingartenvereinswesen scheint mir einem Kibbuz doch noch am nächsten zu kommen. 

Treffpunkt war am Parkplatz unter der alten Linde, die, als alle da waren, kurzerhand abgesägt wurde. Der Vorsitzende hatte dafür aus seinen privatem Besitztümern eine Kettensäge mitgebracht, die während des zweieinhalbstündigen Einsatzes einmal neu betankt und neu verkettet werden musste. Dann wurde der Weg oberhalb der Gärten freigeschnitten. Dabei kam auch die Kettensäge und zusätzlich eine Motorsense zum Einsatz. Da beide Geräte abwechselnd jeweils vom Vorsitzenden bedient wurden, kam es zu längeren Standzeiten bei uns unmotorisierten Nacharbeitern. Ein kurzbehoster Gartenfreund bot sich an, die Bedienung der Kettensäge zu übernehmen. Aus Gründen des Arbeitsschutzes wurde ihm ein Helm mit Ohrenschützern und Visier gebracht. Jetzt fehlte noch eine lange Hose. Kurzerhand entledigte sich der Vorsitzende seiner grünen Arbeitshose - und siehe: er trug darunter noch eine blaue. Ich war schwer beeindruckt. Vielleicht ist der Vorsitzende so eine Art Matroschka-Puppe und birgt in sich immer weitere kleinere Exemplare seiner selbst? Das ist nicht unwahrscheinlich, denn er ist auch noch Vorsitzender des Kreisverbandes und Feuerwehrmann. Wie dem auch sei, ich ging nach getaner Arbeit zurück zu meiner schönen Frau und meinen lieben Kindern in unseren kleinen Garten und dachte: Wir wohnen hier aber schon sehr schön.

Veröffentlicht in Garten am 08.07.2023 20:01 Uhr.

Kinder, Garten, Gurken

Eine Hängetomate schlägt aus der Art und ein real existierendes Kind schläft nicht, ruht aber. 


Wir bewirtschaften ein kleines Gewächshaus in unserem Garten. Meine wunderbare Frau hat auf der einen Seite zwei Gurkenpflanzen in die von mir gesiebte Komposterde gebracht, die uns viel Freude machen. Auf der anderen Seite stehen die Tomaten. Hier ist nun leider ein Missgeschick passiert, das uns hoffentlich nicht noch Kopf und Kragen kosten wird. Eine der Tomaten nämlich, eine sogenannte Hängetomate, ist ganz offensichtlich aus der Art geschlagen und geradezu wild geworden. Sie trägt so gut wie keine Früchte, wuchert aber weit über den ihr zugewiesenen Platz hinaus und droht, die ordentlichen Tomaten mit ihren Würgeschlingen zu ersticken. Meine wunderbare Frau findet noch nichts weiter dabei, aber ich mache mir Sorgen. Ja, ich fürchte, dass ich über kurz oder lang beim Betreten des Glashauses von der Goldapfelfrucht angefallen werde und handlungs- und bewegungsunfähig zwischen ihren Tentakeln hängen bleibe. Folglich wässere ich die Tomaten nur noch durch die Dachluken des Gewächshauses, aber ich befürchte, dass die Mutante durch eben diese Luken hinauslangen und das ganze Gebäude zwischen ihren fleischigen Fangarmen erquetschen wird. Dann ist es auch mit den Gurken Essig. 

Aber so ist das nun mal. Alles Geschaffene strebt von Anbeginn dem Verfall und dem Gewesensein zu, ein Zustand freilich, der sich vom Nichtsein signifikant abhebt, weil ihm nun mal die Existenz vorausgegangen ist, sei sie nun köstlich gewesen oder nicht. Die Existenz unterscheidet sich wiederum von den anderen beiden Zuständen darin, dass sie sich in der Zeit ausbreitet, was ihr so ein „Geschmäckle“ verleiht, wie sie in Stuttgart sagen würden. Welche der drei, Nichtsein, Existenz oder Gewesensein nun vorzuziehen sei, bleibt dem kritischen Leser und der kritischen Leserin überlassen, wobei man fairerweise gleich sagen sollte, dass ein gerechtes Urteil nur von einer Metaebene aus zu fällen wäre, die einzunehmen aus einem der drei Zustände heraus nicht möglich ist. 

So kann auch unser real existierendes Kind dieser Frage nicht erschöpfend auf den Grund gehen, so sehr er darüber auch nachsinnen mag. Dass er sich damit beschäftigt, liegt nahe, denn aus dem Kindergarten wird berichtet, er würde mittags nicht schlafen, sondern nur ruhen. Sein Geist ruht mit Sicherheit nicht, sondern versucht zweifellos, diese letzten Fragen zu ergründen, was ihm freilich nicht gelingen kann, da der Geist selbst der Grund ist und dem Erkennen des Selbst nun mal unverrückbare Grenzen gesetzt sind. Aber das muss er schon irgendwann alleine herausfinden. Bis es soweit ist, freuen wir uns, dass mich die Tomate noch nicht erwischt hat und essen unsere Gurken.

Veröffentlicht in Kinder, Garten am 27.07.2022 18:39 Uhr.

Made with Goldfish

copyright: liedersaenger

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