Dor Vat

Erst starren alle ins leere Grab und dann in den (leeren!) Himmel. Auch in der Himmelfahrtsgeschichte geht es um radikale Veränderung - aber wir feiern Vatertag 🍻🍺🍻


Das Erzgebirgische geht mit seinen Eigenheiten weit über das hinaus, was man so gemeinhin als Mundart bezeichnet. Es wird auch in Sachsen nicht verstanden und für den Erzgebirger ist der Sachse ebenso ein „Uhiesschr“, wie der Preuße. Im Kindergarten wurde mir unlängst auf Nachfrage bestätigt, dass alles in Ordnung gewesen sei, nur sei das Kind eben manchmal so huhnacket. Kuhnackig? Nein, „huhnacket“. Das sei, wenn er andere ärgere, necke und sich dann an deren Reaktion erfreue. Da haben wir  es also. Unser Kind ist huhnacket. Darum sage ich immer, wir müssen hier weg, bevor er in die Schule kommt. Was, wenn so etwas ins Zeugnis kommt? Das kriegt man nie wieder raus!

Das ist dann wie mit meiner Diagnose, die ich mal statt der Bronchitis, die ich eigentlich hatte, bekommen habe. Eine neue Ärztin hatte die Praxis übernommen und während der Anamnese stellte sich heraus, dass ich Raucher war. Zu meiner Rechtfertigung erzählte ich ihr, dass ich mir eine Rollbox gekauft hätte, mit der ich nun nur noch selbst drehen würde. Ich rechnete ihr vor, wieviel Geld ich dadurch sparen würde und bekam dabei rote Wangen und glänzende Augen. Ihr Urteil war niederschmetternd. Ich bekam „Psychische- und Verhaltensstörung durch Tabak“. Und zwar lebenslänglich. 

Das Erzgebirgische scheint mir auch für die Entstehung der seltsamen Tradition des Vatertages verantwortlich zu sein. Denn für ein „uhiessches“ Kind, noch dazu „huhnacket“, erschließt sich keineswegs, warum zum Feiertag Christi Himmelfahrt überall angetrunkene Männergruppen auftauchen, die den Kindern ausgerechnet an diesem Tage ihre Bollerwagen streitig machen. Wenn man aber weiß, dass der Vater hier „dor Vat“ heißt, kann man sich denken, was ein ortsansässiger Gung versteht: Nämlich Himmel-Vat. Himmel, dann soll er den Bollerwagen eben haben, wenn er ihn nur heil wieder zurückbringt. Dor Vat. 

Veröffentlicht in Kindergarten am 16.05.2023 14:30 Uhr.

Kinder, Garten, Gurken

Eine Hängetomate schlägt aus der Art und ein real existierendes Kind schläft nicht, ruht aber. 


Wir bewirtschaften ein kleines Gewächshaus in unserem Garten. Meine wunderbare Frau hat auf der einen Seite zwei Gurkenpflanzen in die von mir gesiebte Komposterde gebracht, die uns viel Freude machen. Auf der anderen Seite stehen die Tomaten. Hier ist nun leider ein Missgeschick passiert, das uns hoffentlich nicht noch Kopf und Kragen kosten wird. Eine der Tomaten nämlich, eine sogenannte Hängetomate, ist ganz offensichtlich aus der Art geschlagen und geradezu wild geworden. Sie trägt so gut wie keine Früchte, wuchert aber weit über den ihr zugewiesenen Platz hinaus und droht, die ordentlichen Tomaten mit ihren Würgeschlingen zu ersticken. Meine wunderbare Frau findet noch nichts weiter dabei, aber ich mache mir Sorgen. Ja, ich fürchte, dass ich über kurz oder lang beim Betreten des Glashauses von der Goldapfelfrucht angefallen werde und handlungs- und bewegungsunfähig zwischen ihren Tentakeln hängen bleibe. Folglich wässere ich die Tomaten nur noch durch die Dachluken des Gewächshauses, aber ich befürchte, dass die Mutante durch eben diese Luken hinauslangen und das ganze Gebäude zwischen ihren fleischigen Fangarmen erquetschen wird. Dann ist es auch mit den Gurken Essig. 

Aber so ist das nun mal. Alles Geschaffene strebt von Anbeginn dem Verfall und dem Gewesensein zu, ein Zustand freilich, der sich vom Nichtsein signifikant abhebt, weil ihm nun mal die Existenz vorausgegangen ist, sei sie nun köstlich gewesen oder nicht. Die Existenz unterscheidet sich wiederum von den anderen beiden Zuständen darin, dass sie sich in der Zeit ausbreitet, was ihr so ein „Geschmäckle“ verleiht, wie sie in Stuttgart sagen würden. Welche der drei, Nichtsein, Existenz oder Gewesensein nun vorzuziehen sei, bleibt dem kritischen Leser und der kritischen Leserin überlassen, wobei man fairerweise gleich sagen sollte, dass ein gerechtes Urteil nur von einer Metaebene aus zu fällen wäre, die einzunehmen aus einem der drei Zustände heraus nicht möglich ist. 

So kann auch unser real existierendes Kind dieser Frage nicht erschöpfend auf den Grund gehen, so sehr er darüber auch nachsinnen mag. Dass er sich damit beschäftigt, liegt nahe, denn aus dem Kindergarten wird berichtet, er würde mittags nicht schlafen, sondern nur ruhen. Sein Geist ruht mit Sicherheit nicht, sondern versucht zweifellos, diese letzten Fragen zu ergründen, was ihm freilich nicht gelingen kann, da der Geist selbst der Grund ist und dem Erkennen des Selbst nun mal unverrückbare Grenzen gesetzt sind. Aber das muss er schon irgendwann alleine herausfinden. Bis es soweit ist, freuen wir uns, dass mich die Tomate noch nicht erwischt hat und essen unsere Gurken.

Veröffentlicht in Kinder, Garten am 27.07.2022 18:39 Uhr.

Im Tierpark

Wenn man will, dass etwas ordentlich gemacht wird, macht man es am besten selbst. 

Kinder lieben Tiere. Das glauben zumindest die Erwachsenen. Wir dachten das auch und fuhren mit unserem Kind in den Tierpark. Es gibt dort einen Ticketautomaten und eine entsprechende Vorrichtung zur Zugangskontrolle. Man steckt sein Ticket in einen weiteren Automaten und kann dann ein Drehgitter passieren. Soweit, so einfach. Normalerweise stellt man sich vor das absperrende Gitter, drückt es vorwärts und geht dabei hindurch. Ich bin schon hundertmal durch solche Gitter gekommen, ohne darin stecken zu bleiben, aber diesmal hatte offenbar irgend etwas in mir Bedenken. Frau und Kind hatten die Sperre schon passiert, nur ich stand noch draußen. Ich ließ mein Ticket verschwinden und wieder herauskommen, es klickte und ich griff  beherzt neben mich, um das Gitter vor mir an mir vorbei zu drehen. Hinein kam ich so freilich nicht. Ich stand nach der Drehung des Gitters noch am selben Fleck wie vorher und die Sperre rastete wieder ein. Ich steckte mein Ticket noch einmal ein und im Display erschien die Information, ich sei bereits eingetreten. Das Kind schien auch dieser Meinung zu sein und rannte los. Meine liebe Frau musste hinterher und ich stand mutterseelenallein, wie früher nach dem Abschied am Bahnhof Friedrichstraße. 

Es war sogar noch schlimmer, denn damals hatte ich wenigstens noch meine Eltern bei mir, die auch nicht rüber durften. Diesmal gab es niemanden mehr, der mich getröstet hätte. Meine Frau drehte sich noch einmal um und riet mir von ferne, ein neues Ticket zu lösen. Nichts lag mir ferner, aber es schien für den Moment die einzige Möglichkeit zur glücklichen Zusammenführung unserer so jäh getrennten Familie zu sein. Ich kaufte also noch eine Eintrittskarte, wenigstes ermäßigt.

Unser Kind hielt sich unterdessen nicht lange mit den Tieren auf. Er erinnerte sich, dass es hier einen Bagger geben musste und da mussten wir hin. Da konnte der Pfau noch so traurig rufen, es musste gebaggert werden. Zicklein, Esel, Uhu und Sattelschwein mochten um die Aufmerksamkeit unseres Söhnchens buhlen, es kümmerte ihn nicht weiter. Die Tiere waren hier gut versorgt, aber wer kümmerte sich um den Bagger? Hin und wieder kam mal ein anderes Kind vorüber, dann machte er bereitwillig Platz. Aber die anderen konnten es einfach nicht, hatten nicht die nötige Geduld oder sie hatten Wichtigeres zu tun: Sie mussten essen, sie mussten trinken, sie mussten dies, sie mussten das. Was bieb ihm anderes übrig, als es allein zu machen? Danach muss man als Müllmann den Müll wegfahren. Und dann muss man auch schon wieder in den Kindergarten. 


:end

Veröffentlicht in Elternzeit, Arbeit, Kindergarten am 16.05.2022 14:09 Uhr.

Wozu das gut war

Trotz Biergarten-Hoch muss das E-Bike noch ein bisschen im Fahrradladen bleiben. 


Beim Kauf von E-Produkten bin ich Profi. Wie bei vielen Dingen im Leben, kommt es auch hier auf den richtigen Zeitpunkt an. Über den entscheide ich intuitiv. Ich weiß einfach, dass es jetzt gemacht werden muss, wenn man es denn überhaupt machen will. Wie zum Beispiel bei unserem E-Piano. Ich wachte früh auf und wusste: Heute kaufen wir das Klavier. Gedacht - gemacht. Ich weckte meine noch friedlich schlummernde Frau, ohne die ich nie mehr irgendetwas kaufen würde und wir fuhren ins Musikhaus. Das Beratungsgespräch war nur eine lästige Formalität und wir hielten es kurz. Die Hauptschwierigkeit bestand darin, das Trum ins Auto zu kriegen. Aber es passte, weil wir unser kleines Auto gegen das große meiner Schwiegereltern getauscht hatten. Weil wir nämlich in der Woche zuvor über den Haufen gefahren worden sind und die Schwiegereltern sich um die Reparatur kümmern wollten.  

Es ist nicht immer gleich klar, warum solche Dinge passieren, wie zum Beispiel über den Haufen gefahren werden. Manchmal erfährt man auch nie, wozu das gut war. Vielleicht hat ein Ereignis mit der eigenen Geschichte auch gar nichts zu tun und entfaltet seine Wirkung in einer ganz anderen. So ist das auch mit dem positiven PCR-Test-Ergebnis unseres Kindes. Keiner weiß, wozu es gut ist, dass er auch noch in der nächsten Woche nicht gleich in den Kindergarten kann. Aber wir sind froh und dankbar, dass er offenbar außer einem äußerst lästigen Husten keine ernsten Beschwerden hat. Und wir hoffen, dass es schnell besser wird und nicht schlimmer. 

Mit einem Quarantäne-Kind kann man aber leider auch nicht mit dem Fahrrad in die Biergärten fahren. Darum können wir den Kauf des E-Bikes auch noch ein bisschen nach hinten schieben, denn in den Kindergarten können wir schließlich auch noch nicht fahren. Mit Ablauf der Quarantäne ist dann allerdings auch das Biergarten-Hoch erst mal wieder Geschichte. Aber egal. Ausgesucht ist das neue Fahrzeug nämlich schon und steht abholbereit im Fahrradladen. Das Beratungsgespräch war nur eine Formalität und wir hielten es kurz. Und wenn wir mit dem Kind wieder ins Offene dürfen, schlagen wir zu. Falls nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommt. Falls doch, sagen wir wie immer: Wer weiß, wozu das wieder gut war. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten, Quarantäne am 25.03.2022 14:30 Uhr.

Kitaschwänzer

Wer genießen will, wie der Schmerz nachlässt, muss leiden: Ohne Trennung kein Wiedersehen.


Als Kindergartenkind hatte ich einen kleinen Trick auf Lager. Wenn ich wirklich mal partout nicht gehen wollte, sagte ich meiner Mutter morgens, es ginge mir gar nicht gut. Dann ging meine Mutter ins Bad und holte aus dem Medizinschrank das Fieberthermometer. Sie kam damit zu mir ans Krankenbett und klemmte mir das Quecksilber unter den Arm. Dann ließ sie mich damit allein. Ich wusste: Nur bei Fieber durfte ich zu Hause bleiben. Kaum war meine Mutter aus dem Zimmer, hielt ich das Messgerät an die Heizung. Dafür braucht man Fingerspitzengefühl. Stieg das Quecksilber nämlich zu hoch, wäre man aufgeflogen. Blieb es zu niedrig, hätte es nicht zum zu Hause bleiben gereicht. Ich kann mich recht lebhaft daran erinnern, dass es wenigstens einmal geklappt hat. Ob ich daraufhin allein zu Hause blieb oder ob meine Mutter auch zu Hause bleiben musste, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls konnte sie ja nicht einfach auf der Arbeit anrufen und sich krankmelden. Vielleicht ging sie auch noch gar nicht wieder arbeiten. 

Wie auch immer, mein Kind hat diese Gabe offensichtlich nicht nur geerbt, sondern gleich perfektioniert. Er muss keine Geräte manipulieren und keine Erkrankung vortäuschen. Er kann sie manifestieren. Er bekam am Sonntag Abend tatsächlich Fieber. Dann gelang es ihm am Montag, einen Corona-Schnelltest zu manipulieren, so dass wir auch noch einen PCR-Test machen lassen mussten. Mit dem Abwarten des Testergebnisses kann er jetzt eine ganze Woche dem Kindergarten fernbleiben. Sein Bedauern darüber bringt er im gleichen Tonfall zum Ausdruck, wie er „Arme Gertrud!“ sagt, nachdem er seine Handpuppe mit dem Bobbycar überfahren hat. 

Ich selber bin jetzt ein bisschen zwiegespalten. Die ersten beiden Tage hat es mir gefallen, nicht in den Kindergarten zu müssen. Das morgendliche Auseinanderreißen macht mir schon auch Schwierigkeiten und um etwas zu erledigen, sind eineinhalb Stunden zu kurz. Aber heute, am dritten Tag, sehe ich schon wieder sehr deutlich: meine Betreuungsversuche im fraglichen Zeitraum machen das Kind nicht glücklicher. Und sowohl Kontakt mit Gleichaltrigen als auch Wiedersehensfreude beim Abholen entfallen ersatzlos. Wir müssen also wieder hin und wie es aussieht, sind wir im ersten Monat nicht sehr weit gekommen. Aber meine Frau will mir ein E-Bike schenken und damit käme ich schon ein bisschen weiter, als nur bis zum Kaufland. Auch der Kinderteller zum Mittag in der Köhlerhütte kommt so wieder in Sichtweite. Ich muss nur irgendwie die inzwischen sehr schwierig gewordene Prozedur des Fahrradkaufs bewältigen. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten, Quarantäne am 23.03.2022 13:00 Uhr.

Ärger im Kindergarten

Engpässe, Mangel und Versorgungsschwierigkeiten sind auch ein Stück Erinnerung an die Kindheit und daran, dass ständige Verfügbarkeit von allen Dingen keine Selbstverständlichkeit ist. Und auch nicht notwendig. 


Mein täglicher Weg in den Kindergarten führt uns am Schwarzenberger Finanzamt vorbei, das sich anmutig zwischen eine kurvige Hauptstraße und das mäandernde Schwarzwasser schmiegt. Dieser Tage drängen sich dort am frühen Vormittag ungewöhnlich viele Mitarbeiter um einen Schreibtisch und betrachten kopfschüttelnd Dokumente auf den nebeneinander gruppierten Monitoren. Zweifellos handelt es sich bei den Dokumenten um unsere Steuererklärung, denn wir wollen fast alles zurückgezahlt haben. Wir haben nichts zu verschenken und ich bringe seit einem Jahr kein Geld mehr nach Hause. Meine liebe Frau muss sich täglich verdingen, damit ich mir das Nötigste im Internet bestellen kann. Jetzt wird es noch einmal teurer, denn einerseits muss der Kindergartenplatz bezahlt werden und zum anderen schlagen meine nun täglichen Ausflüge ins Kaufland gehörig ins Kontor. Beides hängt zweifellos zusammen und da die Kita nicht dafür aufkommt, muss eben das Finanzamt ran. Sollen sie ihre Köpfe schütteln, soviel sie wollen, Hauptsache, sie zahlen. 

Im Kaufland gibt es auch kein Sonnenblumenöl mehr. Anfang der Woche hatte Jan Böhmermann getwittert, dass er seine Pfannkuchen in Dieselöl gebacken hätte, weil das Sonnenblumenöl so teuer wäre. Ich habe das gar nicht verstanden, bis ich das Sonnenblumenöl auf dem Einkaufszettel hatte. Da gab es schon keins mehr. Ich dachte erst, die Diesel-Fahrer hätten es sich in den Tank gekippt, zumindest mit Rapsöl funktioniert das. Wie auch immer, es gibt Weniges, auf das ich fröhlicher verzichten kann, als auf Sonnenblumenöl. 

Im Kindergarten verbreiten sie weiter Zuversicht. Ab nächste Woche solle das Kind an einer der Mahlzeiten teilnehmen. Das wird auch Zeit, denn die Tischmanieren lassen im Privaten jetzt doch ein wenig zu wünschen übrig, besonders, wenn er sich satt gegessen hat. Aber sie sollen es auch nicht übertreiben. Ich kann mich erinnern, dass ich im Kindergarten großen Ärger bekommen habe, weil ich mir eine als Sonnenblume abgeschälte Apfelsinenschale auf den Kopf gesetzt habe. Das, so wurde meinen Eltern mitgeteilt, sei unhygienisch, weil ich mich damit verteidigt hatte, dass wir uns zu Hause zu jeder Mahlzeit Apfelsinenschalen-Blumen-Hüte aufsetzten. Diese Erinnerung ist auch deshalb interessant, weil sie darauf schließen lässt, dass es in der DDR gar keine Apfelsinenengpässe gegeben hat. Bananen waren vielleicht knapp. Und Sonnenblumenöl hatten wir, glaube ich, auch immer genug. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten, Weltgeschichte am 17.03.2022 13:00 Uhr.

Spielen und Lachen

Man will sich oft doch lieber der Mehrheit anschließen. Darum kaue ich wieder auf beiden Seiten und das Kind macht sich gut. 


Die Entwicklung Zahnmedizin ist auch hierzulande nicht stehen geblieben. Ich hatte eine neue Füllung bekommen und alles ging eine Weile gut. Aber dann bekam ich Schmerzen, wenn irgend etwas den Zahn berührte. Egal ob Kaltes oder Heißes oder auch Süßes - es tat weh. Ich konnte auf der betroffenen Seite nicht mehr kauen. Das ist nun aber kein Zustand. Ich hatte gelesen, dass das einseitige Kauen die Kniegelenke schädigen kann. Offenbar war das bei mir schon passiert. Eben habe ich aber noch mal nachgelesen. Es sind die Kiefergelenke. Aber auch das ist ja nicht schön. Man kann davon ein schiefes Gesicht kriegen. Also war ich wieder beim Zahnarzt. Der Zahnarzt sagte, das passe nicht zusammen. Entweder sei ein Zahn druck- oder temperaturempfindlich oder er reagiere auf Süßes. Das hätte alles verschiedene Ursachen, die sich ausschließen. Ich müsste mich schon  entscheiden. Dann erläuterte er mir seinen Therapieansatz. Ich verstand, er wolle irgendwas festkleben, was sich möglicherweise gelockert hätte. Die Alternative wäre aufbohren und neu füllen und hieß „Kausaltherapie“. 

Dann sagte er „Alkohol“. Ich wollte gerade sagen, dass ich den ja zum Glück nicht kauen müsste, aber das hatte er zu seiner Assistentin gesagt. Er tupfte mir am kranken Zahn herum und leuchtete dann mit seiner blauen Taschenlampe hinein. Dann atmete er tief aus und sagte: „Geschafft“. Immerhin hatte mir diese Behandlung keine neuen Schmerzen verursacht. Er sagte, in 95% aller Fälle würde diese Therapie gut anschlagen. Sollte ich bedauerlicherweise zu den anderen 5% gehören, müssten wir es eben mit der Kausaltherapie versuchen. Seitdem kaue ich wieder tapfer auf beiden Seiten. 

Auch bei der Eingewöhnung mache ich Fortschritte. Gestern hatte ich vergessen, seine Stoffwindel dazulassen. Stattdessen sind wir dann ohne den Trinkbecher wieder nach Hause gegangen. Heute wurde mir der Trinkbecher sicherheitshalber mitgegeben. Dafür habe ich die Windel vergessen. Das macht aber nichts, dann brauche ich morgen nicht daran denken, sie auszupacken. Die Chefin traf ich heute vorm Kaufland, als ich mich zum Abholen auf den Weg machte. Unser Kind mache sich gut, sagte sie. „Er spielt und lacht.“ Das hört man gern. Tatsächlich traf ich ihn auch so im Kindergarten an. Es sah so aus, als spiele er mit einem Bobbycar „Unfall bauen“. Als er mich erblickte, kam er auf mich zu. Er sah ausgesprochen fröhlich aus. Und er lachte.

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten am 16.03.2022 13:00 Uhr.

Wieder nach zu Hause gehen

Vielen Menschen kommt im Laufe ihres Lebens die Zukunft abhanden. Kinder haben aber meistens mehr als genug davon. 


Eigentlich haben wir schon wieder Fahrradwetter. Wobei die Verwendung des Wörtchens „eigentlich“ aber schon den Hinweis darauf enthält, dass es mit dem Radfahren eher doch nicht so weit her ist. Im Erzgebirge besteht das Problem darin, dass man entweder bergab fährt, was die Bremsen nicht lange mitmachen, oder bergauf, was einem unabhängig von der Kondition die Knie nicht lange verzeihen, wenn man sie sich beim Berg runterrennen kaputt gemacht hat. Man könnte jetzt mit dem Fahrrad zum Kindergarten fahren, wenn der Berg nicht wäre, auf dessen Gipfel sich die Kita niedergelassen hat. Aber selbst dann bestünde noch die Schwierigkeit, dass ich über die Querstange aufsteigen müsste, wenn der Kindersitz über dem Gepäckträger hängt. Mit bereits aufgesatteltem Kind wird die Schwierigkeit zur Unmöglichkeit. Also gehe ich weiter zu Fuß mit Kinderwagen. 

Im Kindergarten haben sie jetzt offenbar genug von mir. Diese Herumlungerei muss ein Ende haben. Eine Mutter hätte sich schon längst irgendwie nützlich gemacht oder wäre wenigstens schon mal einkaufen gegangen. Ich soll jetzt „einfach mal fortmachen“ und erst zum Abholen wiederkommen. Außerdem herrscht ein bisschen Personalmangel und die Chefin muss Hand anlegen und kann sich nicht auch noch um mich kümmern. Schließlich ist das hier ein Kindergarten und kein Biergarten. Also lasse ich mein unglückliches Kind zurück und trolle mich ins nahe Kaufland, um beim Bäcker einen Kaffee zu trinken. Wie kann man sein weinendes Kind ohne Not fremden Menschen überlassen? Mit hängenden Schultern und gebrochenem Herzen steige ich allein den Berg wieder hinab, den wir eben noch lachend und scherzend zu zweit erklommen haben. Ja, ginge er genauso fröhlich hinein, winkte mir zum Abschied und riefe mir ein zuversichtliches „Glück auf“ hinterher - wie leicht könnte ich fortgehen. Aber so?

Beim Kaufland-Bäcker sitzen eine Frau und ein Mann, die bei einem Becher Kaffee die weltpolitische Lage auswerten. Der Mann sagt, ihm täten die Kinder leid, die heute aufwüchsen. Sie hätten keine Zukunft. Ein kurzer Seitenblick auf den Mann verrät mir, dass er es ist, dem die Zukunft abhanden gekommen ist. Das ist zwar auch traurig, stimmt mich nach dem ersten Schreck aber wieder ein bisschen froher. Ich trinke meinen Kaffee aus und laufe zurück zu meinem Kind, während ich mir dessen Zukunft in den leuchtendsten Farben ausmale. Der staunt nicht schlecht, dass ich heute von draußen komme und nicht wie sonst drinnen sitze. Aber egal. Hauptsache, ich komme. Und Zukunft heißt heute erst mal: Wieder nach zu Hause gehen. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten am 15.03.2022 13:00 Uhr.

Doktor Neinrich

"Nein" bedeutet bekanntlich "Ja" und "Ja" heißt "Doch". Wer viel fragt, bekommt viele Antworten. Schlauer wird man davon aber nicht. 


Es war einmal ein kleiner Junge, der antwortete auf alles, was man ihn fragte immer nur mit „Nein“. Fragte man ihn, ob er rausgehen wolle, lautete die Antwort „Nein“. Ob er essen, trinken, schlafen wolle? Die Antwort war „Nein“. Ob er vielleicht spazieren oder natürlich auch in den Kindergarten gehen wolle? „Nein, nein, nein!“ Darum nannten ihn alle, die ihn kannten oder kennenlernten nur noch den kleinen Neinrich. Dabei war er nun keinesfalls faul oder gar untätig. Aber alles, was er machte, versah er nun mal mit einem negativen Vorzeichen. So trank er am liebsten keine Milch und aß auch morgens kein Müsli. Er schaute sich mit Begeisterung keine Bücher an und hörte voller Hingabe keine Musik. Und jedesmal, bevor er nicht hinausging, ließ er sich ums Verrecken keine Jacke anziehen und setzte auch keine Mütze auf. Seine Eltern hegten einen furchtbaren Verdacht und der Vater brachte ihn in die Apotheke, um ihn testen zu lassen. Eine Viertelstunde später hatten sie es schwarz auf weiß: Der kleine Neinrich war negativ. 

Das konnte nun aber nicht ganz stimmen, denn es ging eigentlich auch genauso oft anders herum. Dann sagte er aber nicht etwa „Ja“, sondern „Doch“. Sagte man ihm zum Beispiel, er könne einen bestimmten Gegenstand nicht haben, entgegnete er „Doch!“ Erklärte man ihm geduldig, dass Kinder keinen Kaffee oder kein Bier tränken, so antwortete er „Doch!“ Und gestand man den Tränen nahe und am Ende seiner Kräfte, dass man ihn auf keinen Fall noch weiter tragen könne, so lautete der abschließende Bescheid nur kurz und bündig: „Doch“. „Doch, doch, doch!“ Was aber ohne weitere Vorwarnung und übergangslos wieder in „NEIN! DOCH NICHT!“ umschlagen konnte. Und da der kleine Neinrich nun mal den ch-Laut noch nicht aussprechen konnte, musste er eben „DOK“, sagen, was ihm zusätzlich zu seinem Spitznamen auch noch einen Doktortitel eingebracht hat. 

Den richtigen Namen dieses Jungen wissen wir gar nicht. Vielleicht geht er ja sogar in denselben Kindergarten, wie unser Kind. Wenn ich meinen Sohn mal verstohlen durch ein Fenster bei seiner Eingewöhnung beobachten kann, ist er draußen zwar meistens allein unterwegs, aber er weint nicht mehr dabei. Ich halte es nicht mehr für völlig ausgeschlossen, dass er doch einmal Kontakt zu den anderen Kindern bekommt und dann erfahren wir möglicherweise, wie der kleine Doktor Neinrich wirklich heißt. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten am 14.03.2022 13:00 Uhr.

Heute ein König

Eine Krone macht noch keinen König und ein Schmetterling noch keinen Frühling. 


Wenn die Kinder aus dem Haus sind, fällt man erst mal in ein tiefes Loch. Nachdem man Tag für Tag und Stunde für Stunde nur für das Kind gelebt hat, soll man sich auf einmal wieder mit sich alleine beschäftigen. Das kommt etwas plötzlich und es ist hart. Man wurde ja auch nicht darauf vorbereitet. Ich  könnte was lesen aber am Ende weiß ich nicht, was da gestanden hat, weil ich nach drei Worten mit meinen Gedanken wieder beim Kind bin. Um ihn kümmern sich jetzt fremde Menschen. Wie man hört, haben sie alle Hände voll zu tun. Ich will helfen, aber ich soll warten, bis ich gerufen werde. Außer meinem Kind ruft aber keiner. Das wird dafür immer ausdauernder und wütender je länger es vergeblich ruft. Dass das Personal zu früh die Flinte ins Korn wirft kann man wirklich nicht sagen. Aber man sollte auch wissen, wann man verloren hat. Diese Erkenntnis kommt ein bisschen spät. Die Kapitulation ist dafür umso totaler und bedingungsloser. 

An seinem zweiten Wiegenfeste lernt unser Kind, dass das Leben mit der wachsenden Zahl der Geburtstage nicht unbedingt leichter wird. Seine Bezugserzieherin hat ihm eine Krone gebastelt, die er aber nicht aufsetzen will. Später sagt er mir, man könne nicht einfach eine Krone aufsetzen. Ich frage mich, woher er das weiß. Auch ein Geburtstagskind ist im Kindergarten schließlich kein König, dessen Befehle von allen ausgeführt werden. Und die Verantwortung eines Herrschers über alle anderen Kinder möchte er ganz bestimmt auch nicht tragen. 

An seinem Geburtstag muss man „einen ausgeben“. Eine schlechte Sitte, die leider nicht auszurotten ist. Ich habe Jahr für Jahr 30 Lollis in die Schule getragen. Alle anderen haben das auch so gemacht. Hin und wieder versuchte mal jemand auszubrechen und vielleicht einen Kuchen mitzubringen. Aber das war vorbereitungsintensiv und unpraktisch, weshalb schließlich alle immer wieder zu den Lollis zurückkehrten. Ich fahre nun zwölf Schmetterlinge in den Kindergarten. Meine liebe Frau hat Wäscheklammern bemalt und beklebt und kleine Tütchen mit Obst und Salzgebäck gefüllt. Weil ich kein Kind und kein Erzieher bin, werde ich nicht eingeladen. Ich frage mein Kind, ob es eine schöne Geburtstagsfeier war und er sagt: „Doch“. Immerhin. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten am 09.03.2022 13:20 Uhr.

Wieder fröhlich

Es gibt einen Grund zum Feiern: Herzliche Glückwünsche und alles Gute zum Frauentag!


Kurz nachdem meine wunderbare Frau aus der Tür ist, sagen sie im Radio an, dass heute Frauentag ist. Das hätten sie auch ein bisschen früher machen können. Ich hätte ihr dazu gratuliert. Ich werde das nachholen, wenn sie wieder nach Hause kommt. Abgesehen davon, dass ich ohne diese ganz besondere Frau jetzt kein Kind hätte, wäre ich auch sonst eher nicht zu beneiden. Ich säße Abend für Abend allein mit einer Plüschmaus und schrieb oder redete mir mein Alleinsein schön. Außer meiner Arbeit würde ich nicht viel erleben und ich wäre so alt, wie ich aussähe. Im Kindergarten arbeiten bis auf den Hausmeister ausschließlich Frauen. Es sind ihrer eine ganze Menge und irgendwann weiß man nicht mehr, wen man schon beglückwünscht hat und wen nicht. Die beiden, mit denen ich direkt zu tun habe, schicken mich heute gleich nach dem Beglückwünschen unter einem Vorwand weg. Das Protestgebrüll meines Kindes endet diesmal schon nach relativ kurzer Zeit. Zwischendurch wird mir mitgeteilt, das Kind spiele friedlich. Dann werde ich gebeten mich zu verstecken, weil man hinaus in den Garten wolle. Auch das scheint heute gut zu funktionieren. 

Ich werde hier offenbar nicht mehr gebraucht. Die Chefin kommt vorbei und sagt, man werde sich melden, wenn mein Eingreifen notwendig werde. Ich weiß schon, was das bedeutet. Es hat Zeiten gegeben, da konnte eine Frau ohne Mann nicht überleben. Entweder sie blieb beim Vater oder sie wurde verheiratet. Der Mann war Ernährer, Versorger und Beschützer. Dass das so war, lag natürlich nicht an der Schwäche der Frau, sondern an den patriarchalen Strukturen der Gesellschaft. Diese Strukturen lösen sich gerade auf - und ich bekomme das nun zu spüren. Ich sitze allein, nervös und untätig im Kindergarten und warte, dass es endlich wieder etwas für mich zu tun gibt. 

In dieser für mich misslichen Situation ereignet sich nun ein kleines Wunder. Mein verlorener Sohn erinnert sich an seinen alten Vater und macht sich auf die Suche. Zu unserem Glück sind die Frauen eben Frauen und keine Männer. Sie fühlen Mitleid, sie erbarmen sich und zeigen dem Kind den Weg. Der Alte fällt auf die Knie und umarmt das Kind, dem die Freudentränen über die Wangen laufen. Das Erbarmen der fremden Frau aus dem Kindergarten geht nun nicht so weit, dass sie dem Mann wieder auf die Beine hilft. Dass muss er mit knackenden Knien schon alleine schaffen. Ich schaffe das auch und bin wieder fröhlich. Und dankbar. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten am 08.03.2022 13:20 Uhr.

Notwendig aber sehr schmerzhaft

Über den Alltag von Kleinkindern wissen wir aus ihrer Perspektive fast gar nichts. Weil sie einfach keine Zeit zum Schreiben haben. 


Wir wissen aus zuverlässiger Quelle, dass die Schöpfung nicht an einem Montag in Angriff genommen wurde. Montage sind einfach komplett ungeeignet, irgendetwas in Angriff zu nehmen. Das steht auch in dem Merkblatt, das sie uns im Kindergarten mitgegeben haben. Mit ein bisschen Lebenserfahrung weiß man aber, dass auch alle übrigen Tage nicht besser geeignet sind. Wenn überhaupt ein Tag in Frage kommt, dann vielleicht der Dienstag. Man hat schon ein bisschen Routine vom Montag und noch genug Schwung, weil ja einerseits noch nichts geschafft wurde und andererseits noch kein Ende in Sicht ist. Das kommt aber auf die Einteilung an. Ich hatte mal einen Kollegen, der mir am Dienstag immer schon ein schönes Wochenende gewünscht hat, weil ich am Mittwoch nicht vor Ort war und er am Donnerstag schon mittags Feierabend hatte. Na und Freitag ist Freitag. Folgerichtig war am gestrigen Sonntag Abend Zoom-Meeting. Inzwischen funktioniert das sogar, was vor einem Jahr noch anders war. Bei der Arbeit sollten Meetings wegen des Infektionsschutzes online stattfinden. Man sah sich die Standbilder der Kolleginnen und Kollegen an und hoffte, selbst in einem günstigen Moment eingefroren worden zu sein. Dann traf man sich irgendwann wieder im Flur oder in der Teeküche. 

Trotzdem beginnt heute die zweite Kindergartenwoche. Ich kann mich zwar noch bruchstückhaft an meinen Kindergartenalltag erinnern, weiß aber weder etwas über den Weg zum Kindergarten oder zurück, noch wer mich dabei begleitet hat. Dafür weiß ich noch, dass ich mit meiner Mutter verabredet hatte, alleine nach Hause zu kommen und auch einfach losging. Es gab ein Riesentheater am folgenden Tag. 

Mein Kind fällt an diesem vierten Tag hinter Tag eins zurück. Erst draußen im Hof verlässt er mein Schwerefeld, um bei der Fahrzeugausgabe nicht etwa zu kurz zu kommen. Ich werde diesmal nicht hinaus sondern hinein geschickt. Inzwischen sind fast alle Kinder draußen und ich rede mir ein, dass es dabei nun mal sehr laut zugeht. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt dann meine Gruppe wieder herein, mein Kind verweint und erschöpft. Er scheint sich dessen bewusst zu sein, dass er gerade einen großen Schritt macht, der zwar notwendig, aber sehr schmerzhaft ist. Aber was weiß ich schon. Offenbar sind solche Schritte eben Kinder-Alltag. Und morgen geht’s weiter. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten am 07.03.2022 13:05 Uhr.

Die drei Sprechzimmer

Männer gehen viel zu selten zum Arzt und dann finden sie sich dort nicht zurecht. Ist das ein Wunder?


Ich hatte gestern Nachmittag noch einen Termin zum Testen. Die Apothekerin entschuldigt sich. Sie muss erst noch ihre Brille putzen. „Ich sehe durch die Brille fast gar nichts mehr“, sagt sie. Ich: „Ist doch auch kein Sehtest.“ Sie: „Naja, ein bisschen was sehen möchte man aber schon, wenn man bei andern Leuten in der Nase stochert.“ Ich: „Sie könnten ja nach Gehör stochern.“ Sie: „Schmerzensschreie?“ (lacht) Ja, den Humor müsse man sich wenigstens bewahren in diesen Zeiten. Ich: „Nicht immer gleich so negativ sein.“ „Aber positiv besser auch nicht!“ Ich: „Um Himmels willen!“  

Im Kindergarten soll ich heute gleich nach unserer Ankunft wieder rausgehen. Nach einer Weile wird mir der Schnulli abgenommen. Dann höre ich mein Kind sehr laut und lang anhaltend weinen, als mal kurz die Tür aufgeht. Die Chefin kommt zu mir und tröstet mich. Dann hört man nichts mehr. Nach einer halben Stunde mache ich mir Sorgen, ob mein Kind übers Wochenende wieder mit mir nach Hause kommt. Die Chefin tröstet mich wieder: Das hätten sie noch nicht geschafft. Endlich geht die Tür wieder auf und die Kinder werden zum Rausgehen angezogen. Mein Sohn kommt zu mir und klettert auf meinen Schoß. Er sieht erschöpft aus, aber auch irgendwie stolz. Beim Singen hätte er sich schließlich beruhigt, sagt mir die Erzieherin. 

Nach dem Testen war ich gestern Nachmittag auch schnell noch bei meiner Ärztin. Ich wollte sie mal wieder sehen. Nach der Anmeldung und einer angemessenen Wartezeit im leeren Wartezimmer wird die Sprechanlage eingeschaltet und die Ärztin sagt etwas, das auf „ei“ endet. Alles andere wird vom Martinshorn einer Feuerwehr übertönt, die offenbar am Mikrofon vorbeifährt. Ich vermute, ich soll in das Sprechzimmer drei kommen. Es gibt aber nur zwei Sprechzimmer. Als ich in Nummer zwei eintrete, ruft die Ärztin gerade zum zweiten Mal. Ich entschuldige mich, ich hätte „Sprechzimmer drei“ verstanden. „Wo ist denn Sprechzimmer drei?“ fragt die Ärztin. Ich entgegne, ich wisse es nicht und die Schwestern hätten es auch nicht gewusst. Da sieht man mal, dass ich viel zu selten zum Arzt gehe, sonst würde ich mich dort besser auskennen. Und als nächstes gehe ich zum Hörtest. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten am 04.03.2022 13:25 Uhr.

Was man mit dem Lexikon noch alles anfangen kann

Bücher kann man nicht genug haben und sie sind nicht nur zum Lesen da. 


Mein Verhältnis zu Büchern ist über lange Zeit gewachsen. Eines der ersten, an das ich mich erinnere handelte von einem unglaublich dicken Mann, mit dem Namen Krachbumtus. Ich konnte mir nicht erklären, wie man so dick werden konnte. Meine Mutter sagte, der Mann wäre nicht mehr aufs Klo gegangen. Dann hatte ich noch „Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt“. Das war ungefähr mein Buchbestand, als Simone zum ersten Mal zu mir nach Hause kam. In meinem Zeugnis stand, ich sei sehr belesen. Simone musste sehr lachen. Damit mir so etwas nicht noch mal passiert, kam ich mit Brockhaus ins Geschäft. Während ich jeweils einen Band drei Monate lang abbezahlte, bekam ich ein fünfbändiges Paperbacklexikon von Brockhaus.  Das sah schon eher nach „belesen“ aus.  

Im Kindergarten werde ich heute fröhlich von den anderen Kindern begrüßt, die gleich mit mir spielen wollen. Statt still beobachtend auf meinem Stühlchen zu sitzen, muss ich so tun, als ob ich Essen koste, das mir gebracht wird und Puppen anziehen. Die Kinder lachen über den lustigen Onkel. Dann feiern wir Geburtstag. Ein Kind ist am Dienstag zwei geworden, aber weil Fasching war, wird heute nochmal nachgefeiert. Es gibt Kuchen, Würstchen und Riesenerdbeeren. Anschließend wird zum Tanz aufgespielt. Zuerst kommen viele verschiedene Tiere zur Party. Dann werden dem Papa die Turnschuhe angezogen, sein Sessel und der Fernseher werden versteckt und er soll auf dem Fahrrad festgebunden werden. 

Mein Sohn hält vom Tanzen heute nichts. Er nutzt seine Chance, jedes Spielzeug haben zu können und zieht sich damit an den Rand des Geschehens zurück. Draußen bleibt der Fuhrpark heute geschlossen, weil es schon so spät ist. Die Kinder sollen rutschen. Trotz strengen Verbots rutschen sie auf dem Bauch mit dem Kopf voran. Meiner will die Rutsche runterlaufen. Das kann er ja machen, wenn ich nicht mehr dabei bin. Wieder zu Hause vertreibt sich das Kind die Zeit bis zum Mittagessen mit seinen Büchern. Er kann jetzt schon einige Regalmeter vorweisen, weil er ausgelesene Exemplare von seinen Cousins und Cousinen vermacht bekommt. Meine Geschichte mit Brockhaus ging so weiter, dass ich irgendwann alle 30 Bände bezahlt hatte. Seit es Wikipedia gibt, habe ich keinen Band mehr in die Hand genommen. Mein Sohn zeigt mir mit seiner Lexikonreihe, was man noch alles damit anfangen kann: Zum Beispiel einen Kippelturm bauen. Und noch besser: den Kippelturm zusammenkrachen lassen. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten am 03.03.2022 12:50 Uhr.

Wenn ich aus dem Kindergarten allein nach Hause geh

Alles braucht seine Zeit: Nach dem ersten Tag wird klar, dass meine Eingewöhnung noch ein bisschen dauern wird. 


Ein Tag wie jeder andere, nur alles 2 Stunden früher. Die Schnürsenkel sind übrigens schon vor zwei Tagen gerissen. Ich bin aufgeregt, als wäre es mein erster Arbeitstag. Meine Frau hat mich vor einer nymphomanischen Kindergärtnerin gewarnt, die in der betreffenden Gruppe ihr Unwesen treiben soll. Die wurde aber offensichtlich für die Zeit meiner Eingewöhnung beurlaubt und ich werde bei zwei ordentlichen Gouvernanten untergebracht. Das Kind studiert nach unserer Ankunft im Kindergarten seine neue Gruppe mit großem Ernst. Dann mischt er sich unter das Volk und begutachtet ausgiebig das vorhandene Spielzeug. In der großen Hofpause wird schließlich jedes Kind mit einem Fahrzeug ausgestattet. Meiner bekommt einen silbernen Porsche zugeteilt, der ihm jedoch gleich wieder von einem offenbar ranghöheren Kind abgenommen wird. Er muss sich mit einem stinknormalen roten Bobbycar begnügen und fährt damit über eine Bordsteinkante und auf einem Rasen davon. 

Die anderen Kinder folgen bis zur Bordsteinkante und bleiben dort neugierig stehen. Eine Aufsichtsperson pfeift ihn zurück. Als er wiederkommt, stecken die anderen Kinder mit ihm die Köpfe zusammen und sprechen in einer Sprache auf ihn ein, die ich nicht verstehe. Dann fahren sie wieder weg. Mein Sohn fährt schnurstracks zum Zaun auf der gegenüberliegenden Seite. Wieder kommen die anderen angefahren und wieder stecken sie die Köpfe zusammen. Daraufhin kommt mein Kind wieder zu mir und verlangt, ich solle das Tor aufmachen. Dann will er zum großen Klettergerüst und lässt sich von mir auf die große Rutsche setzen. Sofort erscheint die Aufsichtsperson wieder und erklärt mir, das Klettergerüst sei erst ab drei Jahren freigegeben. 

Mich würde ja interessieren, was die Kinder untereinander so besprochen haben. Entsprechende Fragen an mein Kind werden von diesem ignoriert. Sollte er für sie ausprobieren, ob die alten Grenzen noch Bestand haben? „Sag deinem Papa mal, er soll das Tor aufmachen!“ „Traust du dich, die große Rutsche zu nehmen?“ Wieder zu Hause werden die Namen der anderen Kinder abgefragt. Ich kann sechs von zwölf aufzählen. Obwohl ein Lied gesungen wurde, in dem alle Namen vorkamen, fallen mir die übrigen nicht ein. Die Eingewöhnung wird also noch eine Weile dauern, denn bevor ich nicht alle Namen kann, werden sie mich nicht alleine nach Hause gehen lassen. Wenn überhaupt. Ich weiß nicht, ob meine Frau das entsprechende Kreuzchen auf dem Einwilligungsbogen gemacht hat. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten am 02.03.2022 13:00 Uhr.

Made with Goldfish

copyright: liedersaenger 2023

iconfinder_207_Mastodon_4518932
iconfinder_Spotify_1298766
iconfinder_INSTAGRAM_1217174
iconfinder_174179_amazon_icon_512px
1298765_soundcloud_icon