Baum_Sonne

Nachrichten vom liedersaenger

Viertel vor sieben

"Und es soll Sonnabend sein und es soll Topfkuchen geben und er soll schon auf dem Küchentisch steh'n. Eine Kanne Kakao und meine Tasse daneben und ich darf die braune Backform umdreh'n. Schokoladenflocken, mit der Raspel gerieben, in der Schaumkrone meines Kakaos. Manchmal wünscht' ich, es wär noch mal viertel vor sieben und ich wünschte ich käme nach Haus." Reinhard Mey, Viertel vor sieben


Diesmal war ich nicht nur eine Weile weg. Ich war lange weg. Und ich war ganz weg. „Was kommt nach Lauter?“ fragt mein kleiner Sohn sehr gerne. „Nun“, pflegen wir dann zu antworten, „nach Lauter kommt Schwarzenberg“, denn Lauter heißt der Ort im Erzgebirge, den wir passieren müssen, wollen wir von Aue kommend nach Hause fahren. „Nein“, sagt er dann, „nach lauter kommt leiser!“ Das ist natürlich nicht verkehrt. Aber dann will er wissen, was nach leiser kommt. Es hat eine Weile gedauert und es ist vielleicht auch nicht sehr originell, aber inzwischen hat sich folgender Ablauf entwickelt: nach leiser kommt schneller und nach schneller kommt fest. Nach fest kommt lose und nach lose kommt ab. Nach ab kommt weg und nach weg kommt schließlich - ganz weg. 

Das war ich nun also, ganz weg. Aber doch nicht so ganz, denn dieses Wochenende war ich wieder da: In Sankt Marien in Bernau. Nach drei Jahren Corona-Pause durfte wieder musiziert und gesungen werden und das wollten die Lobetaler, die drei Jahre lang auf alle Feste verzichten mussten, mit einem schönen Konzert feiern. Und ich war dazu eingeladen worden. Es war ein kurzer Heimaturlaub während einer langen Wanderschaft. Zu kurz um mehr zu sein, als nur ein Winken. Winken aus dem langsam fahrenden Zug. Aber wir haben einander gesehen und gehört und dies allein schon tat so gut. Mein Nachtquartier bezog ich bei Axel, dem alten Freund, bei dem ich länger als ein Jahr wohnte, gerade als meine Geschichte mit Lobetal vor mehr als zwanzig Jahren begann. Ich schlief in meinem alten Zimmer, im Bad hing immer noch dasselbe Bild an der Wand und auf dem Küchentisch stand eine Kanne Kakao und daneben: meine Tasse. Es war Sonnabend, und es war viertel vor sieben.

Natürlich stimmt das so nicht. Es war dreiviertel acht und es war nicht der Küchentisch, sondern der Kühlschrank. Darin stand auch keine Kanne Kakao sondern zwei Flaschen Hefeweizen. Aber ich dachte: Was können wir unserem Söhnchen in diesen Zeiten besseres schenken, als dieses Gefühl der Geborgenheit eines Zuhauses. Ein Ort, an dem ein bisschen die Zeit stehen bleibt und den er, auch wenn es diesen Ort schon lange nicht mehr gibt, tief in seinem Herzen trägt. Dorthin soll er dann immer zurückkehren und seine Zuflucht finden können, wenn die dunklen Regenwolken aufziehen und die Dämmerung mit ihren Schatten ihn ängstigen will. Davon durfte ich ein Lied singen, in Sankt Marien in Bernau. Und es war Sonnabend. 

Veröffentlicht in Lobetal, Musik am 20.06.2022 4:00 Uhr.

Mitten im großen Gesang

Der Grund für das Ende der Geschichte schien in ihr selbst zu liegen: Die Kette der Ereignisse in ihr führte zwangsläufig wieder aus ihr heraus. 


Mit freundlicher Genehmigung von Ulrike Pienkny, Lobetal

Angela Merkel war noch lange nicht Bundeskanzlerin, als ich aus Neubrandenburg zurück nach Berlin zog, um von dort aus meine lange Geschichte mit dem kleinen Dorf Lobetal in Brandenburg zu beginnen. Dass es eine lange Geschichte werden würde, wusste ich damals noch nicht. Sie endete nach einundzwanzig Jahren im Sommer 2019 und ich dachte, die Zeit dafür wäre eben gekommen und ich könnte einfach so fortgehen und alles hinter mir lassen. 
Bemerkenswert finde ich, dass der Grund für das Ende der Geschichte in ihr selbst zu liegen schien. Die Kette der Ereignisse in ihr führte zwangsläufig wieder aus ihr heraus. Ich begann in der Jugendarbeit mit dem festen Vorsatz, so schnell wie möglich in die Arbeit mit behinderten Menschen zu wechseln. Der Schlüssel zu diesem Wechsel war die Musiktherapie, die wiederum eine Qualifizierung erforderte. Ich wählte die berufsbegleitende Ausbildung in Bad Klosterlausnitz und begann parallel dazu mit der Arbeit in Lobetal. 

Ich erwarb mir eine gewisse Expertise in der Arbeit mit diesen besonderen Menschen, die keine Patienten und nicht zur Behandlung stationär untergebracht waren, deren Seelen aber trotzdem und gerade deswegen besonderer Zuwendung bedurften. Zehn Jahre nach meinem Abschluss begann dann eine junge Frau ihre Ausbildung an derselben Akademie, hörte von meiner Arbeit und begann, sich dafür zu interessieren. Sie kam zu mir und sie begleitete mich auf meinen Wegen und bei meinen Begegnungen, die ich so viele Jahre nur allein erlebt hatte. Als sie dann fortging, um nun selbst mit ihrer Arbeit anzufangen, folgte ich ihr, denn wir hatten uns ineinander verliebt und wollten zusammen bleiben.

Lobetal ist ein guter und wichtiger Ort, den ich meinem Sohn gerne zeigen möchte. Die Jahresfeste im Juni hatte ich bestimmt zwanzig mal miterlebt und mitgestaltet. Ich habe mich oft gefragt, wie ich wohl durch die schwierige Zeit der Pandemie in Lobetal gegangen wäre. Musiktherapie ohne Kontakt. Kirche ohne Gemeinde. Die großen Feste: Ausgefallen. Auch am vergangenen Sonntag wäre wieder Jahresfest gewesen. Es konnte auch noch nicht stattfinden, aber es gab einen Festgottesdienst in der Waldkirche. Und da waren sie endlich wieder, diese besonderen Menschen, die Lobetaler. Ich konnte wieder ihre Stimmen hören, wenn sie sangen und ich sah auch ihre Gesichter: Einem ist ein stattlicher Bart gewachsen und ein anderer hat sich überhaupt nicht verändert. Sogar der Bischof war gekommen und predigte ausgerechnet darüber, wie man sich über die Verlorenen freuen würde, wenn sie wiedergefunden werden. Auf YouTube sah es aus, wie ein wunderbares Fest. Ich wäre so gerne dabei gewesen: Mit meinem kleinen Jungen mitten im großen Gesang. 

Veröffentlicht in Lobetal am 26.06.2021 4:00 Uhr.

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