Wann streiken die Soldaten?

„Alle Soldaten wolln nach Haus, alle Soldaten wolln nach Haus, sie wolln die Uniform nicht mehr, den Stahlhelm und das Schießgewehr, und auch nicht in den Kampf hinaus. Soldaten wolln nur eins: sie wolln nach Haus.“ Reinhard Mey


Ich konnte leider nicht zur Arbeit fahren, weil die Lockführer streiken. Dagegen kann man nicht viel machen. Es ist ein bisschen, als wenn man eingeschneit wäre. Es gibt Gegenden in dieser Welt, da ist das ganz normal. Die Kinder können dann eben nicht zur Schule und bleiben zu Hause. Die Eltern natürlich auch. Einschneien ist keine Katastrophe. Trächtige Eisbärinnen lassen sich regelmäßig einschneien und bringen dann in der gemütlichen Eishöhle ihre Jungen zur Welt. Sie können zwar nicht mehr fressen aber dafür brauchen sie auch nicht zu jagen. Sie schlafen sich endlich mal richtig aus und die Robben können sich ein wenig entspannen. Wir brauchten nicht mehr einkaufen, und würden so das Geld einsparen, dass wir nicht verdienen, weil wir nicht zur Arbeit kommen. Wir würden bis in den März hinein schlafen. Wenn wir dann wieder aufwachen, ist die Welt eine andere. Der Schnee ist noch da, aber die Kriege haben aufgehört. Die ganzen Armeen und die Soldaten sind ja auch eingeschneit und weil sie nichts mehr zu essen hatten, sind sie auch eingeschlafen. Natürlich wollen sie gleich nach dem Aufwachen weiterkämpfen, aber sie müssen schließlich erst mal aufs Klo. Als sie damit fertig sind, merken sie, dass sie vom langen Schlafen hungrig sind und erst mal essen müssen. Also gehen sie auf den Markt und kaufen sich ein Frühstück. 

Nur leider stimmt das alles nicht. Die Robben können sich nämlich gar nicht entspannen, weil sich die Eisbären-Männer überhaupt nicht einschneien lassen. Sie jagen einfach weiter. Genau wie die Soldaten. Das sind auch alles Männer. Die jagen auch immer weiter, ob es nun schneit oder nicht. Da liegt doch  die Frage nahe: Wann streiken endlich die Soldaten? 

Das könnten die Soldaten noch von den Lockführern lernen. Außerdem könnten sie auch noch was übers Totschießen lernen: Kein Lockführer würde freiwillig einen Menschen totfahren. Wenn es doch passiert, bekommt er psychologische Hilfe. Das wäre immerhin schon mal ein Anfang. Wenn nämlich die Soldaten anfangen, über das Töten nachzudenken und darüber, was es mit ihnen macht, merken sie vielleicht einer nach dem anderen, wie sie verheizt werden. Und dann streiken sie endlich. Und gehen nach Haus.

Veröffentlicht in Weltgeschichte  am 09.12.2023 10:34 Uhr.

Es geht nicht anders 

Menschen lassen sich nicht von außen verändern. Wenn sie sich aber selbst verändern wollen, gibt es praktisch keine Grenzen.

Aggressivität und Gewaltbereitschaft gehören zu unserer phylogenetischen Disposition. Das war für den Planeten nicht weiter bedenklich, solange sich die Artgenossen mit Keulen auf die Köpfe hauten, wenn sich zwei umherziehende Gruppen zufällig begegneten. Die Zeiten sind aber lange vorbei und das Ausmaß der Verwüstung, das kriegerisch ausgetragene Konflikte heute anrichten, ist schon lange nicht mehr hinnehmbar. Wenn die Kinder im Verhältnis etwas Vergleichbares im Kinderzimmer veranstalteten, müsste man einschreiten. Spätestens seit den Zeiten, in denen das Neue Testament aufgeschrieben wurde, wissen Menschen aber auch, dass sie ihrer Biologie nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, sondern dass sie das, was da in ihnen hochkocht, beherrschen und sich anders verhalten können, wenn sie ihren Verstand benutzen. 

Wer einmal ein deutsches Vernichtungslager und die Anlagen gesehen hat, die für die massenhafte Vernichtung von Menschen erdacht und errichtet worden waren, verzweifelt und fragt sich: Wie konnte das passieren? Wie war es möglich, dass sich zivilisierte Menschen nicht etwa im Affekt, sondern in ruhig überlegter und planvoller Büroarbeit so etwas Bestialisches ausdachten? Es war möglich, weil sich die Idee der Schädlingsbekämpfung durch Tötung und der Ungeziefervernichtung schon lange im Denken eingenistet hatte. Es brauchte nur noch den Schritt, andere Menschen als Schädlinge oder Ungeziefer zu identifizieren. 

Ich glaube an eine Welt, in der die Gewalt in jeglicher Form geächtet und keine Option mehr ist. In dieser Welt hätten wir andere Lösungen für den Umgang mit Schädlingen und Ungeziefer, als sie totzuschlagen oder massenhaft umzubringen. Der Geist, der sich dafür Anlagen ausdenken kann, könnte sich auch etwas anderes ausdenken, wenn er nur wollte. In dieser Welt würden wir uns auch anders ernähren und kleiden, wir würden anders kommunizieren, bauen und wohnen und uns anders bewegen. Wir würden das tun, weil wir erkannt hätten, dass es unsere einzige Rettung ist. Und vor allem, weil wir erkannt hätten, dass es dabei auf uns selbst ankommt, auf jeden einzelnen. Solange alle weiter schreckensstarr vor dem Fernseher sitzen und darauf warten, was die anderen tun, wird einfach geschehen, was eben geschieht. Wir können weiter auf unsere wunderbare Erlösung warten. Wir könnten uns aber auch einfach selbst verändern. Wir haben alles, was wir dazu brauchen. Warum fangen wir nicht jetzt damit an? Es geht nicht anders!

Veröffentlicht in Weltgeschichte  am 09.11.2023 6:25 Uhr.

Üb immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab

Statt des politisch korrekten Wortes „Bösewicht“ benutze ich im folgenden ein anderes Wort, das möglicherweise als anstößig empfunden wird. Die Verwendung der drastischeren Formulierung ist in diesem Falle aber zulässig, weil sie wahr ist. 


Im August 1973 begann mein letzter Kindergarten-Monat. Ab September war ich Schüler. In der Bundesrepublik Deutschland wurde Willy Brandt Bundeskanzler und setzte sich für eine Entspannungspolitik im Kalten Krieg ein. In Chile wurde der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende durch einen Militärputsch gestürzt und Augusto Pinochet übernahm die Macht. In den USA endete der Vietnamkrieg und die Watergate-Affäre erschütterte das Vertrauen in die Regierung. Nichts davon habe ich mitbekommen. Nur dass Walter Ulbricht gestorben war, das war mir nicht entgangen. Im Foyer meines LEW-Betriebskindergartens hing ein Bild des nun verstorbenen Staatsratsvorsitzenden, unter dem wir uns versammelten und die Kindergartenleiterin erzählte uns vom Genossen Ulbricht und seinen Großtaten für unsere junge Deutsche Demokratische Republik. Aber trotz dieses tragischen Verlustes und der Tatsache, dass alle anderen Kinder die ich kannte, viel bessere Spielsachen und ihre Eltern bessere Fernseher und Autos beziehungsweise überhaupt ein Auto hatten, war ich doch ein fröhliches Kind und blieb, was Politik und Weltgeschichte betraf, doch reichlich unbekümmert. Dass etwas mit unserem schönen Planeten nicht so ganz in der Ordnung war, erfuhr ich erst viel später in der Jungen Gemeinde. 

Diese Unbekümmertheit hätte ich heute gern wieder. Ich benötigte zwar sehr dringend einen eigenen Kassettenrecorder und Hörspielkassetten wie „Ali Baba und die 40 Räuber“. Dafür riss ich mir Wimpern aus und blies sie fort, insgeheim und ganz fest wünschend. Einmal durfte ich dann Rogers (sprich: Rotschers) Kassettenrecorder ein paar Tage lang (oder nur ein paar Stunden?) ausleihen und bekam auch seine Kassetten dazu.  Ich war glücklich. Aber mehr war nicht drin. Einen eigenen Kassettenrecorder bekam ich nie. Aber das war eben auch nie ein Problem, mit dem ich mich abends in den Schlaf geweint hätte. 
 
Mit dem Schulanfang begann jedoch nach und nach die Erkenntnis zu reifen, dass dieser wunderbare Planet eben auch von Arschlöchern bewohnt wird. Wer dann  auch noch erkennt, dass daran nichts zu ändern ist, hat schon viel begriffen. Doch auch die Arschlöcher haben ihre Bestimmung: sie sind dazu da, zu erkennen, dass man selbst kein Arschloch ist und auch keins werden will. Sie sind ein Kompass, der in die Richtung zeigt, in der wir auf keinen Fall unterwegs sein wollen. Mehr gehen sie uns nicht an. Dass sie uns beherrschen und die Welt regieren wollen, liegt in ihrer Natur. Sie sind zu bedauern, denn sie finden ihre Ruhe nicht. Aber helfen können wir ihnen nicht. Im Übrigen wird die Welt auch kein besserer Ort, weil wir in ihr leben. Wenn wir aber nur einen Menschen finden oder zwei und auch drei, die wir lieben und an die wir unser Leben verschwenden können - dann sind wir gerettet. 

Veröffentlicht in Weltgeschichte  am 04.08.2023 18:00 Uhr.

Schmutzige Tinte

Ist die Welt so verrückt, weil eine seelenlose KI ihre Geschichte schreibt? 


Man könnte meinen, die Welt ist verrückt geworden. Alle Macht scheint in den Händen von wahnsinnigen bösen Clowns zu liegen, die entschlossen sind, die Liebe und die Vernunft mit allen Mitteln zu bekämpfen und auszurotten. Dabei hatte doch alles so hoffnungsvoll begonnen: Kurz nachdem ich als Bausoldat aus der Nationalen Volksarmee der DDR entlassen worden war, hörte diese Armee auf zu existieren. Sie verschwand einfach und der letzte Verteidigungsminister war evangelischer Pastor und selbst Bausoldat gewesen. Die Sowjetunion, für uns das Original der „Diktatur des Proletariats“, ging unter und wir wurden Westen, für uns das Original der Freiheit und des Wohlstandes. Und jetzt? Was ist passiert, dass Licht und Wärme sich mehr und mehr in Kälte und Dunkelheit verwandeln? Als wäre über einem wunderschönen und farbenfrohen Sommerbild ein Tintenfass umgekippt, dessen Inhalt nun erst langsam und dann immer schneller über das Bild läuft und alles verdirbt und bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet. 

Wie wäre es, wenn die Welt nun so etwas ist wie die Summe der Geschichten, die sie sich sozusagen selbst erzählt. Alles, was erzählt und aufgeschrieben wurde, ergibt ihr Bild, alle Bücher, alle Fotografien, alle Lieder und alle Filme. Was die Menschen sich heute erzählen, wird morgen zu ihrer Wirklichkeit. Und was wäre, wenn es nun aber eine seelenlose Künstliche Intelligenz ist, die unsere Geschichten schreibt? Die in der Lage ist, an einem Tag so viele Geschichten zu schreiben, wie alle menschlichen Geschichtenschreiber zusammen in einem Jahr? Dann würde sich die schmutzige Tinte ausbreiten. Erst langsam und dann immer schneller. Und die Welt, wie wir sie kannten würde sich in eine Welt voller Angst und Schrecken verwandeln, in der es keine Freiheit und keine Hoffnung gäbe.

Das wäre schlimm. Aber zum Glück ist es ja nicht so. Denn wenn die Welt die Summe von irgendetwas ist, dann die Summe unserer Entscheidungen und unseres Handelns. Wir können uns entscheiden, nicht zu hassen und wir können uns entscheiden, keine Waffe in die Hand zu nehmen. Darüber müssen wir dann freilich auch reden und unseren Kindern davon erzählen. Das sollen die Geschichten sein, mit denen meine Kinder aufwachsen und wenn sie dann ihr Herz erreichen können, bilden sie einen lebenslangen Schutz vor der schmutzigen, dunklen Tinte. Und die Hoffnung wird sie nie verlassen. 

Bildnachweis: Ulf × DALL·E Human & AI

Veröffentlicht in Elternzeit, Weltgeschichte  am 04.02.2023 5:00 Uhr.

Glück auf

„Glück auf, das heißt: Komm heil zurück. Und: Gott behüte dich.“ (G. Schöne)


Wie kommt es im Erzgebirge eigentlich zu diesen hohen Inzidenzen? Es ist ja nun nicht so, dass in der ehemaligen Freien Republik die Corona-Regeln nicht gelten. Zumindest beim Einkaufen setzen alle schön ihre Masken auf, in den Bussen sieht man es von draußen auch und illegale Glühweinstände sind mir hier bislang noch nicht begegnet. Gibt es geheime Umschlagplätze, wo das Virus unter der Hand weitergegeben wird? Und wie muss man sich das dann vorstellen? Wird dort bei Unterschreitung des Mindestabstandes gehustet,  geniest und geprustet? Umarmt und geküsst? Aus einem einzigen Eimer Glühwein getrunken? Das Ganze findet natürlich in den alten Uranstollen statt. Rätselhaft, das alles. Vielleicht ist es auch einfach nur so, wie mit dem Schnee. Davon gibt es im Erzgebirge ja auch mehr als anderswo, ausgenommen Bayern und Österreich. Er fällt früher vom Himmel und bleibt viel länger liegen. In der vergangenen Woche haben die Erzgebirger angefangen, ihre Fenster advent- und weihnachtlich zu illuminieren und wer jetzt noch nicht fertig ist, ist spät dran. Daher trifft es diese armen Menschen hier besonders hart, dass die Weihnachtsmärkte zum zweiten Mal in Folge ausfallen müssen. Ja, vielleicht sind Untertage schon seit vergangenem Jahr Permanentweihnachtsmärkte aufgebaut und dorthinein zwängen und drängen sie sich und stecken sich eben alle gegenseitig an. 

Mit solcherlei Gedanken verbringe ich die langen Winterabende am Bett meines Erstgeborenen, während seine Mutter draußen in der Küche Töpfe und Pfannen mit Gesottenem und Gebratenem befüllt, damit wir am Tage nicht etwa Hunger leiden müssen. Natürlich stimmt auch das wieder nicht, denn ich sitze schon lange nicht mehr am Bett, sondern liege drin, da mein Kind nicht mehr ohne engen Körperkontakt einschlafen mag. Spät am Abend kann ich mich dann fortschleichen, werde aber meistens aus dem elterlichen Lager abberufen, sobald der erste Schlummer auf uns niedergesunken ist. Ich frage mich inzwischen, ob ich vielleicht mehr Schlaf abbekomme, wenn ich nächtens in zwei Betten unterwegs bin. 

Es kann nun durchaus sein, dass das alles nun immer so weitergeht: Sowohl das Steigen der Inzidenzen als auch die Anhänglichkeit meines Sohnes. Man soll damit eben gar nicht erst anfangen. In beiden Fällen gibt es aber glücklicherweise eine Obergrenze. Das Kind wird spätestens mit der Pubertät aufhören, mit seinem Vater zu kuscheln und die Inzidenz kann aus mathematischen Gründen die Zahl 100.000 nicht übersteigen. Bis dahin behüte uns Gott. Glück auf!

Veröffentlicht in Elternzeit, Weltgeschichte  am 27.11.2021 5:00 Uhr.

Wer dahinter steckt

Kann man sich mir nichts dir nichts aus der Verantwortung für sein eigenes Leben stehlen? Ja. Es ist ganz einfach.


Ich habe nie bezweifelt, dass das Tragen eines Mundschutzes für den Infektionsschutz sinnvoll ist. Allerdings bin ich auch davon überzeugt, dass er seine Wirksamkeit eher auf psychologischem Gebiet entfaltet: Man geht nicht unbedingt dorthin, wo man ihn tragen muss, wenn es sich vermeiden lässt. Außerdem ist er beim Sprechen lästig, also schweigt man lieber. Wenn diese Annahmen auch größtenteils zutreffen mögen, so haben sie doch in Sachsen keinerlei Gültigkeit. Der Sachse lässt sich weder die Geselligkeit noch den Mund verbieten, Mundschutz hin oder her. Darum waren die Gesichtsteilabdeckungen in diesem Teil der Welt so gut wie wirkungslos und die weitgehende Aufhebung der Maskenpflicht in Sachsen ist nur konsequent. Ob nun auch einige sehr eigenwillige Vorstellungen über die Wirklichkeit in Sachsen entstanden oder aus einem Labor in China entwichen sind, lässt sich dagegen nicht mit letzter Gewissheit klären.

Da wäre zum Beispiel die Sache mit dem Mond. Wir glauben ja seit Menschengedenken daran, dass der Mond die Erde seit Jahrmilliarden umkreist und maßgeblich an der Entstehung des Lebens auf der Erde beteiligt war. Das soll nun auf einmal alles nicht mehr stimmen. Der Mond sei vielmehr von Bill Gates erst kürzlich im Weltraum Stück für Stück zusammengebaut worden. Er steuert damit unsere Gedanken, was erklärt, warum wir glauben, der Mond wäre schon immer dagewesen. Außerdem kann er damit unter anderem Flutkatastrophen auslösen. So. Ach, und Jeff Bezos hängt da natürlich auch mit drin. Er wird sich bald auf den Mond schießen lassen und dem Bill dort ein bisschen zur Hand gehen. Tja. So sieht's nämlich aus. 

Natürlich glaube ich das nicht, obwohl ich die Geschichte gerade selbst erfunden habe. Aber es würde alles so schön einfach machen. Man hätte einen Schuldigen, gegen den man ja machtlos wäre und könnte selbst einfach so weiterleben, wie bisher. Der Mond stünde als Beweis am Himmel. Und wenn er eines Tages von einer Minute auf die andere verschwände oder sonst etwas Unerhörtes passierte, brauchte man sich nicht zu wundern. Man wüsste ja, wer dahinter steckt.

Veröffentlicht in Weltgeschichte  am 24.07.2021 4:00 Uhr.

Made with Goldfish

copyright: liedersaenger 2023

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