Mann im Haus

Wozu es Männer gibt, lässt sich bis heute nicht erklären. Warum sie trotzdem überall vorkommen und erfolgreich sind schon. 


Seit es wieder früher hell wird, tragen meine Frau und ich uns mit dem Gedanken, das Kinderzimmer zur Schlafenszeit zu verdunkeln, um dadurch die kindliche Nachtruhe künstlich zu strecken. Die unnatürlich frühe Helligkeit weckt das Kind zur Unzeit und ein dunkler Vorhang, so glaubten wir, wirkt Wunder, wie das Tuch überm Vogelkäfig. Gesagt, getan. Meine Schwägerin nähte den Vorhang und lieferte auch noch den Spanndraht inklusive Aufhängung mit. Jetzt waren nur noch neun Löchlein zu bohren, um den Draht zu spannen. Spätestens an dieser Stelle muss ich noch mal erwähnen, dass ich es grundsätzlich ablehne, Löcher in Wände zu bohren. Eine Wand ist schließlich eine Wand und wo man Löcher haben will, lässt man die Wand eben von vornherein weg. Fenster bohrt man ja auch nicht nachträglich heraus. Um etwas an einer Wand zu befestigen, gibt es Reißzwecken, Klebeband und Doppelklebeband. In unserem konkreten Fall ragen sogar noch fest in der Wand verankerte Gardinenstangenhalterungen ins Zimmer. Ich regte an, den Vorhang einfach daran aufzuhängen. Meine Frau bot mir daraufhin freundlich an, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. 

Es ist für einen Mann nun aber sehr wichtig, dass er bis zu einem gewissen Grade wichtig ist. In der Regel bekommt man diese Bestätigung im Beruf. Ein Mann geht ganztags ins Büro, auf den Bau oder fährt LKW. Am Abend weiß er dann, was er geleistet hat und ist zufrieden. Ein Mann in Elternzeit hat seinen Beruf gegen die Elternvaterschaft eingetauscht. Zumindest zeitweise. Er wird sich seiner kläglich unvollkommenen Ausstattung und Eignung im Vergleich zur Mutter täglich aufs Neue bewusst und sucht geradezu verzweifelt nach Gelegenheiten zur Rechtfertigung seiner bloßen Existenz. Wie ein Ertrinkender greift er nach jedem Strohhalm, der sich bietet, auch wenn sein Scheitern von vornherein feststeht. 

Die Außenwand des Kinderzimmers ist so beschaffen, dass ich die Dübel mit dem Hammer einschlagen könnte. Ich bohrte trotzdem und schaffte es sogar, die Aufhängung anzuschrauben. Beim Spannen des Drahtes riss sie aber heraus. Jetzt hatten wir zwar keinen Draht, aber dafür eine kaputte Wand. Für mich war die Sache damit eigentlich erledigt, jedoch riet mein Schwippschwager, der alte Fuchs, die Dübel mit Spachtelmasse einzugipsen und es dann noch einmal zu versuchen. Beim Versuch, den alten Dübel aus dem Loch zu ziehen, verschwand er mit der (10 cm langen) Schraube unauffindbar irgendwo in der Wand. Nun fehlte mir auch noch eine Schraube. Beim Zuschmieren der Löcher wurde mir klar, dass ich damit einen häßlichen Gipsfleck auf die Tapete machte, der sich wahrscheinlich nicht mehr entfernen ließ, ohne die ganze Wand neu zu tapezieren. Es gibt eben immer was zu tun und meine Familie kann froh sein, einen Mann im Haus zu haben. 

Veröffentlicht in Elternzeit am 24.04.2021 4:00 Uhr.

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