Die Quadratur des Kreises

Die richtige Antwort auf die Frage "Warum muss..." lautet immer: "Kein Mensch muss müssen." Das kann man sich an den Spiegel stecken. Muss man aber nicht. 


Ich war also beim Chef, bei dem, mit dem ich den Vertrag habe. Es gibt schließlich immer irgendwelche Möglichkeiten, die unbeschadet aller Vertragstreue ausgeschöpft werden wollen. In meinem Fall ist das mein Anspruch auf Elternzeit. Die möchte ich dann ab Geburt des zweiten Kindes schon mal in Anspruch nehmen. Wenigstens für einen Monat. Angesagt habe ich sicherheitshalber erst mal zwei Monate. Der Chef begann daraufhin auf seinem Blatt mit viel Schwung ein Parallelogramm zu zeichnen. Dann legte er mit noch mehr Schwung eine grobe Schraffur darüber. Der Gesichtsausdruck und die ganze Körpersprache ließen darauf schließen, dass er Mühe hatte, seine Freude über meine frohmachende Mitteilung zu verbergen. Er konnte es einfach nicht zeigen. Es könnte allerdings auch sein, dass er sich überhaupt nicht gefreut hat. Körpersprache wird ja oft überbewertet. 

Wie dem auch sei, die Tage, an denen der Papi zur Arbeit fahren muss, sind erstmal wieder gezählt. Wir werden uns in den ersten Februartagen einschneien lassen und wenn die Zeit gekommen ist, bringt die Eisbärenmutter ihr zweites Kind zur Welt. Dann bleiben wir unter der dicken Schneedecke zu viert in unserer gemütlichen Höhle, bis der Frühling wieder ins Erzgebirge kommt, der Schnee taut und wir eine kleine Familie geworden sind, die ein bisschen größer geworden ist. Eisbärenväter dürfen ja eigentlich nicht mit in die Eisbärenhöhle. Sie müssen bei Wind und Wetter draußen bleiben, irren allein umher und fristen ein trostloses Dasein.  Aber glücklicherweise sind wir keine Eisbären und auch keine Pinguine. Warum sollen wir also nicht einfach zusammen bleiben?

Ob meine Vaterpflichten dann überhaupt noch eine Rückkehr ins Berufsleben erlauben, wird sich zeigen müssen.  Wer erinnert sich noch an die Geschichte, in der mir der Traps unter der Spüle abgegangen ist? Das war während meiner Elternzeit und brachte mich seinerzeit an den Rand der Verzweiflung. Meiner Frau ist jetzt genau das Gleiche wieder passiert! („Was für ein seltsames Geräusch!“) Für solche Katastrophen muss ein Mann im Haus sein, der sofort mit Lappen und Eimer, Taschenlampe, Hanf oder Abdichtband Abhilfe schaffen kann. Das bespreche ich aber jetzt noch nicht mit dem Chef. Vielleicht versucht er sonst einen Kreis zu zeichnen und eine Quadratur darüber zu legen. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Arbeit am 26.11.2022 19:35 Uhr.

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