Baum_Sonne

Nachrichten vom liedersaenger

Trainerwechsel

Fußball und Elternschaft haben absolut gar nichts gemeinsam. Das ist aber auch das Einzige, was die beiden verbindet. 


Mein Sohn und ich hatten das große Vergnügen, meine Frau bei der Auffrischung ihrer vielfältigen Sozialkontakte begleiten zu können. Man traf sich in einem verträumten Dörfchen bei Leipzig mit dem wohlklingenden Namen Liemehna. Unsere Unterkunft befand sich auf einem alten Pfarrhof, der unmittelbar an den Friedhof grenzte. Mein Söhnchen ließ sich am Sonntagmorgen dort von mir spazieren tragen, als uns ein Einheimischer anredete. Es ging zunächst um den Schnuller, dass er ihn nicht zu lange haben dürfe, er wisse das von seinen Enkeltöchtern. Zu seiner Zeit hätte man darum noch nicht so viel Aufhebens gemacht, aber heute müssten die Kieferorthopäden eben auch Geld verdienen. Ich dachte: Vielleicht war das Sächsische ja Folge eines früh verformten Gaumens? Laut sagte ich: „Nee, aus’m Fenster werf’ ick sein Schnuller nich’, ick bin doch nich’ lehmsmüde!“ Dann fragte der Mann, ob ich aus dem Erzgebirge käme. Ich freute mich, bejahte und fragte zurück: „Hört man, wa?“ Er ging nicht weiter darauf ein, erzählte von seinen Töchtern, die in Jöhstadt wohnten und wünschte uns dann einen guten Tag. Als wir weitergingen, sah ich, dass vor dem Friedhof ein Auto unserer Gruppe mit Kennzeichen ERZ parkte. Ach so. 

Das aber nur am Rande. Viel gravierender war, dass unser Kind in seinem Sozialverhalten ohne Vorwarnung eine 180-Grad-Wende vollzog. Ich hatte mich eigentlich darauf eingestellt, meine Frau bei den anderen zu vertreten, weil es bisher immer so war, dass ich nicht viel bei meinem Kind ausrichten konnte, wenn seine Mama in der Nähe war. Seit wir nun in Liemehna angekommen waren, zeigte der Junge zunächst eine seltsame Anhänglichkeit mir gegenüber. Dann schrie er plötzlich los, wenn ich mich entfernen wollte und schließlich ließ er sich nicht mehr von der leiblichen Mutter ins Bett bringen. Ich verlor nun doch ein bisschen die Contenance und guckte wie Jogi Löw nach dem 0:2 gegen England. Auch meine Frau wurde traurig, sagte aber, sie freue sich für mich. 

Wie konnte es soweit kommen? Vielleicht war es das Duschbad: Wir hatten nur das meiner Frau mit und ich duftete, wie sie (soweit das überhaupt möglich ist). Ich tröstete sie (und mich), wenn ich wieder auf meinen Männermief umstiege, wäre wieder alles, wie immer. Nicht, dass ich mich nicht auch über mehr Zuneigung unseres Sohnes freuen würde. Aber ich finde, er sollte dafür in seiner Frustrationstoleranz noch etwas stabiler werden. Andererseits hilft es nichts, den Kopf in den Sand zu stecken, wenn die Zeit nun mal gekommen ist: Trainerwechsel. 

Veröffentlicht in Elternzeit  am 03.07.2021 4:00 Uhr.

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copyright: liedersaenger

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