Baum_Sonne

Nachrichten vom liedersaenger

Arm aber glücklich

Für die Auflösung verschiedener Widersprüche mussten große Teile eines überlieferten deutschen Volksliedes neu geschrieben werden. 


Unser Alphabet hat 26 Buchstaben. Mit diesen vergleichsweise wenigen Zeichen kann man ganze Welten erschaffen, eine verrückter als die andere. Die Kombinationsmöglichkeiten sind so riesig, dass rein zufällige Dopplungen bisher noch nicht vorgekommen sind. Wenn sich doch einmal zwei Texte gleichen, muss es sich um eine Kopie handeln. Darum kann ich immer aufs Neue einfach drauflos schreiben, es wird immer wieder ein neuer Text entstehen. Allerdings entstehen auf diese Weise keine neuen Gedanken, was man leider auch gleich merkt. Etwas wirklich Neues zu erschaffen ist eben immer noch etwas Außergewöhnliches. Wem das in der Wissenschaft gelingt, der bekommt einen Doktortitel. Mir ist das auch in anderen Bereichen noch nicht gelungen. Dafür habe ich es beim Kopieren zu einiger Könnerschaft gebracht, was leider eher nach hinten losgeht: Man wird entweder für jemand gehalten, der man nicht ist, oder für eine Leistung gewürdigt, die man gar nicht erbracht hat. Beides steigert nicht das Selbstwertgefühl. 

Dieser Misere kann man entgehen, indem man statt „Kopie“ einfach „Reproduktion“ sagt. Kopieren klingt irgendwie immer gleich nach Verbotenem. Reproduzieren hat diesen Beiklang nicht und weil das Produzieren darin mehr Raum einnimmt als das Re, ist es auch schon wieder etwas Schöpferisches. Dabei darf man das eigentliche Werk allerdings nicht verändern, das wäre dann ein Plagiat. 

Bei sogenannten gemeinfreien Stücken bleibt das aber juristisch folgenlos. Ein solches Stück ist das Lied vom strammen Harung, in den sich die olle Flunder verliebte. Der Harung, der nur so heißt, damit er sich reimt und nicht gefressen wird, will von dem Plattfisch wegen seiner Anatomie zunächst nichts wissen. Erst als die Flunder Gold findet und (anatomisch unverändert!) reich wird, nimmt er sie. Begründet wird dieses widersprüchliche Verhalten mit der Erfahrung des Knochenfisches. Eben diese Erfahrung wird nun als Begründung dafür herangezogen, dass die Flunder vom Harung verlassen wird (Widerspruch!), als der ganze Reichtum verjubelt ist. Ich habe mir einen neuen Reim und einen anderen Schluss auf die Geschichte gemacht, und der geht so:

Und als das Gold zu Ende war 
zwo, drei, vier: sssst tata, tirallala
da blieb der Harung einfach da
zwo, drei, vier: sssst tata, tirallala
I:da war die Flunder augenblicklich
arm, aber glücklich, arm aber glücklich:I

Von der Geschichte die Moral:
zwo, drei, vier: sssst tata, tirallala
verlieb dich nicht in einen Aal
zwo, drei, vier: sssst tata, tirallala
I:denn nur so’n alter Harung 
hat die Erfahrung, hat die Erfahrung:I


Veröffentlicht in Schreiben am 10.07.2021 4:00 Uhr.

Made with Goldfish

copyright: liedersaenger

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