Ars vivendi

Gerade habe ich ein Konzert abgesagt. Ich möchte einfach nicht nach dreißig oder vierzig Minuten merken, dass mir das Hygienekonzept nicht gefällt und dann sang-und klanglos abgehen. Ich kann warten. Ich weiß schon, ein Berufskünstler kann das nicht. Er braucht den Kontakt zu seinem Publikum und er braucht vor allem das Geld. Darum habe ich schon immer gesagt: Macht euch nicht von einem Beruf abhängig! Das bringt nichts. Es muss auch andere Möglichkeiten geben, sich durchs Leben zu mogeln. (Kommt „Möglichkeit" eigentlich von „mogeln“?) Und wenn es schon eine Existenz als Künstler sein soll, dann doch bitte schön eine als Lebenskünstler. Ars vivendi. Für diese Kunst braucht man keine Bühne und kein Publikum. Es gibt zwar keine Gage und keinen Applaus, aber dafür auch kein Lampenfieber.
Kinder sind ja wohl die größten Lebenskünstler überhaupt. Sie sähen nicht, sie ernten nicht, und ihr Vater füttert sie doch! Ich weiß gar nicht mehr, wann ich angefangen habe, mir um meinen Lebensunterhalt Gedanken zu machen. Als Kind denkt man darüber jedenfalls nicht nach. Es gibt noch ganz andere Sachen, über die man nicht nachdenkt. Zum Beispiel, ob Fliegen Zähne haben. Ich wußte es lange nicht, bis ich mal von einer Fliege gebissen wurde. Damals hatte ich keine Ahnung und dachte, ich könnte das unscheinbare Tier mit der bloßen Hand fangen und aus dem Fenster werfen. Da durchfuhr mich plötzlich ein höllischer Schmerz. Auch das Aus-dem-Fenster-Werfen schlug fehl, denn die Fliege hatte sich in meiner Hand festgebissen. Abgesehen von dieser Gefahr ist Fliegenfangen aber eine einfache Sache. Mit ihrem Facettenauge kann sie zwar schnelle Bewegungen rechtzeitig erkennen. Dafür hat sie aber keine Chance, wenn man sich ganz langsam nähert. Und dann: Zack! Wer keiner Fliege etwas zu Leide tun kann, stülpt ihr natürlich ein Glas über.
Was natürlich nicht ratsam ist, solange im Glas noch was drin ist. Erstens ertrinkt die Fliege wahrscheinlich und zweitens hat man selbst nichts mehr zu trinken. Spätestens an dieser Stelle muss ich zugeben, dass mir diesmal gar nichts einfällt. Wäre dies hier ein Konzert, würde ich es jetzt einfach abbrechen. Aber ich habe das Konzert ja schon abgesagt. Also muss ich mich eben bis zum Ende irgendwie durchmogeln. Es gibt ja so viele Möglichkeiten. Wer legt überhaupt fest, wann so ein Text zu Ende ist? Ich erinnere mich an eine Kolumne von Axel Hacke, in der er behauptet, das Ende sei durch die Anzahl der
Veröffentlicht in Musik am 31.07.2021 4:00 Uhr.