Kann passieren
Heute muss ich mal wieder ein Thema aufgreifen, das in allen Medien bis heute konsequent vermieden, umgangen und ja, so muss man es sagen, totgeschwiegen wird. Zwar hat der furchtlose Stephan Lebert in der aktuellen Ausgabe der Zeit (36/2021) eine ebenso scharfsinnige wie gnadenlose Abrechnung mit seiner Bundeskanzlerin abgeliefert; eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Lebensrelevanten, dem Grundsätzlichen aber lässt er vermissen. Ich meine das Frühstücksei. Der letzte, der sich heldenhaft diesem Gegenstand zuwandte, war Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow, alias Loriot. Das zu behandelnde Problem ist das gekochte Ei, das entweder sogenannt „hart“ oder „weich“ sein kann. Die einen mögen das erste, die anderen das letztere. Es gibt nun unendlich viele Rezepte, nach denen der jeweils gewünschte Zustand angeblich erreicht werden kann. In der Realität erweisen sie sich alle als Aberglaube und Alchemie. Die Wahrheit ist: Das perfekte Frühstücksei gibt es nicht. Man kann ein Ei zehn Minuten oder fünf Minuten kochen lassen. Bei zehn Minuten ist sein Zustand sicher vorhersagbar. Bei fünf Minuten bleibt die Vorhersage im Ungefähren.
Man kann es halten, wie man will, das Frühstück ist nun mal sozusagen die Kopfmahlzeit des Tages und nimmt als solche eine entsprechende Sonderstellung ein. Ein misslungenes Frühstück macht es einem schwer, dem übrigen Tag noch etwas Frohmachendes abzugewinnen. Darum haben wir uns alle irgendwie mit dem Frühstück arrangiert. Die Strategien reichen von Weglassen über Veganismus bis zum Brunch, bei dem durch in die Länge ziehen der nahtlose Übergang ins Mittagessen realisiert wird. Meine bevorzugte Vorgehensweise war über lange Zeit das Rührei. Aber das ist nicht jedermanns Sache. Verbreitet ist auch die Praxis des Sonntagseis. Es genießt den Ausnahmestatus und damit eine gewisse Narrenfreiheit. Inzwischen neige ich dazu, in dieser Frage von vornherein eine indifferente Haltung einzunehmen. Ein gekochtes Ei ist ein gekochtes Ei. So oder so. Hauptsache es ist nicht roh.
Es hat allerdings eine Zeit gegeben, in der ich ohne mit der Wimper zu zucken auch rohe Eier verzehrt habe. Mit Zucker. Heute bekäme ich Zuckerei nicht mehr runter. Mit Weingeist wird aus Zuckerei übrigens Eierlikör, den ich schon wieder trinken kann, wenn es sein muss. Die Bundeskanzlerin kann von Glück reden, dass sie Stephan Lebert nicht noch das Frühstücksei zubereiten musste. Es könnte sein, dass er am Ende reagiert hätte wie der Mann im Ei-Sketch von Loriot. So ist er nur enttäuscht. Aber das kann einem mit Politikern schon mal passieren.
Veröffentlicht am 04.09.2021 4:00 Uhr.