Seifenoper

Wir machen es uns gemütlich, mein kleiner Junge und ich. Das machen wir jeden Tag, oder besser: Wir versuchen es. Oder noch besser: Ich gebe mir Mühe. Wir machen es immer genau so lange, bis es ungemütlich wird. Ungemütlich ist es zur Zeit jedenfalls draußen. Draußen hat es sich noch nicht entschieden, ob es nun Winter oder Herbst sein will. Es steht Unentschieden zwischen den beiden. Wenn sie nicht aufpassen, wird der Frühling das Rennen machen. Drinnen wird es ungemütlich, wenn ich dem Kind nicht mehr zu Willen bin. Das halte ich inzwischen schon ganz schön lange durch und darum haben wir es auch recht lange gemütlich. Aber irgendwann kommt immer der Zeitpunkt, da will die Säge sägen. In der Auseinandersetzung unserer autonomen Systeme kann es kein Unentschieden geben. Ich muss gewinnen. Wo kämen wir sonst hin?
Nun, wir behielten den ganzen Tag die Schlafanzüge an, es gäbe weder Frühstück noch Mittag und gegen den kleinen Hunger zwischendurch würden wir Nüsse knabbern. Die Entropie in unserem geschlossenen System wurde stetig und rasant zunehmen, bis alle Materie gleichmäßig in der Wohnung verteilt wäre. Das wäre dann der Wärmetod unseres Universums. Obwohl es natürlich interessant wäre, ob und wenn ja wann das Kind gedächte, von sich aus den Schlafanzug auszuziehen. Oder gar die Toilette aufzusuchen. In zwei Jahren soll er das ja alles können. Ich möchte gern miterleben, wenn sich dieser abrupte Sinneswandel seiner bemächtigt. Aber wahrscheinlich wird er stattdessen irgendwann mit einem selbst gemalten Schild „Betreten verboten“ aus dem Kindergarten zurückkehren und die Tür zuknallend in seinem Zimmer verschwinden, aus dem er dann bis zum Ende der Pubertät nicht mehr herauskommt. Überhaupt: Wie lange dauert eine Seifenoper wirklich, wenn ich sie nicht nach der dritten bis fünften Einseifung unterbreche? Würde das Anhören des Nikolausliedes irgendwann sein natürliches Ende finden, wenn es nicht durch mich beendet wird?
Den Begriff Seifenoper habe ich auch erst durch unser Kind richtig verstanden. Er bezeichnet die unendlich kreisförmige Prozedur des Händewaschens mit einem Kleinkind: Hande nass machen, Hande einseifen, Hände abspülen, Hände einseifen… Ich fürchte immer, dass es niemals aufhört und sehe mich jedesmal noch am Sankt Nimmerleinstag mit dem Kind die Hände waschen, wenn ich die Prozedur nicht unterbreche. Aber warum? Es ist ein Augenblick mit meinem Kind, der niemals wiederkommt. Könnte ich mein Glück sehen, statt mich zu fürchten, ich wäre zu beneiden, bliebe die Zeit jetzt stehen.
Veröffentlicht in Elternzeit am 24.01.2022 14:00 Uhr.