Baum_Sonne

Nachrichten vom liedersaenger

Der kleine Diktator

Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. 


Während im ganzen Land die Advents- und Weihnachtsdekoration schon längst in Kellern und auf Dachböden verstaut ist, beginnt man im Erzgebirge erst dieser Tage mit dem Verräumen der entsprechenden Requisiten. Man hat sich dann aber auch wirklich satt gesehen an Schwibbögen, Fenstersternen, Pyramiden und sonstigen Leuchtutensilien. Und draußen wird es ja auch wieder heller. Aber leider nur optisch. Wenn sich demnächst die Hälfte des medizinischen Personals krank oder arbeitslos meldet, wird es im Erzgebirge wohl noch eine Weile finster bleiben. Man kann nur hoffen, in der nächsten Zeit nicht ins Krankenhaus zu müssen. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie man mit seiner ganzen Macht das Gegenteil von dem erreichen kann, was eigentlich beabsichtigt war. Passiert mir jeden Tag. Meistens bleibt dann nichts anderes übrig, als möglichst geräuschlos zurück zu rudern. 

Wenn das Kind kein Müsli essen will und ich es nicht zwingen will oder kann, esse ich es am Ende selbst, und das Kind isst Marmeladen-Toast, so, wie es das auf Nachfrage gleich gesagt hat. Aber auch ungefragt erzählt das Kind inzwischen ohne Pause und unterbricht seine Monologe höchstens für ein kurzes Schläfchen. Dadurch kriege ich Schwierigkeiten beim Diktieren. Ich kann nicht mehr dafür garantieren, dass ich der alleinige Autor dieser Zeilen bin. Wenn in einem Text die Worte Notarzt, Briefträger oder Krokodil auftauchen, hat mit einiger Sicherheit mein Sohn das Diktat übernommen. 

Der Briefträger war mitten im Schneesturm unterwegs. Er hatte heute nur einen einzigen Brief auszutragen. Es war ein Einschreiben für den Notarzt. Als er endlich am Haus des Doktors angekommen war, klingelte er Sturm. Er klingelte und klingelte, aber niemand öffnete. Offenbar war der Notarzt gerade mit einem Notfall beschäftigt. Der Briefträger konnte den Brief nicht in den Briefkasten werfen, denn er brauchte dafür eine Unterschrift vom Notarzt, weil es ein Einschreiben war. Er warf eine Benachrichtungskarte ein und machte sich auf den Rückweg. Da trat ihm das Krokodil in den Weg. „Gib mir den Brief“ bat es, zunächst noch recht freundlich. „Ich habe solchen Hunger.“ „Aber Krokodil“ sagte der Briefträger, „ich muss den Brief doch dem Notarzt aushändigen und außerdem wirst du von einem Brief nicht satt.“ „Ach so“ sagte das Krokodil, „na dann…“ Und nach diesen Worten riss es sein Maul weit auf und das letzte, was der Briefträger sah, waren zwei Reihen messerscharfer Zähne und der rote Rachen des Krokodils von innen. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Weltgeschichte am 03.02.2022 12:50 Uhr.

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copyright: liedersaenger

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