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Aufgewachsen in einem Land, in dem der Kampf für den Frieden sozusagen Alltag war, beschleichen einen jetzt allmählich die Zweifel, ob man genug gekämpft hat, oder ob man vielleicht zu halbherzig oder gar nicht bei der Sache war oder auch einfach zu früh wieder damit aufgehört hat. Jeden 1. Mai waren wir auf der Straße. Wir haben für die Freiheit von Angela Davis und Luis Corvalán demonstriert. Und natürlich war jeder Tag in der Schule oder am Arbeitsplatz ein Kampftag für den Frieden. Dass der Friede bewaffnet sein musste, lernte jedes Kind am Beispiel des Igels. Aber irgendwann reifte auch die Einsicht in den zerstörerischen Geist der Abschreckung und in die Dummheit der Erstschlagslogik nach dem Motto: wer zuerst schießt stirbt als zweiter. Am Ende stand dann die Überzeugung von der Sinnlosigkeit von Gewalt und militärischer Auseinandersetzung. Alles würde ich seitdem kampflos demjenigen überlassen, der es gewaltsam von mir fordert. Es sei denn, es wäre mehr wert, als das eigene Leben. Lange Zeit hat es so etwas nicht gegeben. Nichts, wofür ich gekämpft hätte. Aber heute? Heute würde ich wohl mit Frau und Kind fliehen. Und müsste mich weiter fragen: Habe ich genug getan? Warum hat es nicht gereicht? Was kann ich jetzt noch tun?
Unter dessen kämpft mein Kind mit aller Kraft, die ihm zu Gebote steht. Er verteidigt seine Autonomie mit Klauen und Zähnen und jede Idee, die nicht seine eigene ist, wird erbittert abgewehrt. Und so weinen wir uns gemeinsam in diesen sonnigen Vormittag. Mein Kind weil es fremdbestimmt gegen seinen Willen angezogen wird und sein Vater, weil er sich auf einmal so alt und kraftlos fühlt.
Mag sein, dass auch ich auf den Tag gewartet habe, an dem nicht mehr nur die Seuche Schlagzeilen macht. Aber war nicht von vornherein klar, dass diese Schlagzeilen nicht von der Meldung über ein neugeborenes Kind abgelöst würden, das die Welt retten kann? Gute Nachrichten verkaufen sich eben nicht und wer im Nachrichtengeschäft überleben will, braucht immer wieder neue Schlechtigkeiten. Irgendwo sind aber immer auch die guten Neuigkeiten versteckt und wer eine findet, kann sie gerne weitersagen.
Veröffentlicht in Elternzeit, Weltgeschichte am 28.02.2022 13:15 Uhr.