Heute ein König

Eine Krone macht noch keinen König und ein Schmetterling noch keinen Frühling. 


Wenn die Kinder aus dem Haus sind, fällt man erst mal in ein tiefes Loch. Nachdem man Tag für Tag und Stunde für Stunde nur für das Kind gelebt hat, soll man sich auf einmal wieder mit sich alleine beschäftigen. Das kommt etwas plötzlich und es ist hart. Man wurde ja auch nicht darauf vorbereitet. Ich  könnte was lesen aber am Ende weiß ich nicht, was da gestanden hat, weil ich nach drei Worten mit meinen Gedanken wieder beim Kind bin. Um ihn kümmern sich jetzt fremde Menschen. Wie man hört, haben sie alle Hände voll zu tun. Ich will helfen, aber ich soll warten, bis ich gerufen werde. Außer meinem Kind ruft aber keiner. Das wird dafür immer ausdauernder und wütender je länger es vergeblich ruft. Dass das Personal zu früh die Flinte ins Korn wirft kann man wirklich nicht sagen. Aber man sollte auch wissen, wann man verloren hat. Diese Erkenntnis kommt ein bisschen spät. Die Kapitulation ist dafür umso totaler und bedingungsloser. 

An seinem zweiten Wiegenfeste lernt unser Kind, dass das Leben mit der wachsenden Zahl der Geburtstage nicht unbedingt leichter wird. Seine Bezugserzieherin hat ihm eine Krone gebastelt, die er aber nicht aufsetzen will. Später sagt er mir, man könne nicht einfach eine Krone aufsetzen. Ich frage mich, woher er das weiß. Auch ein Geburtstagskind ist im Kindergarten schließlich kein König, dessen Befehle von allen ausgeführt werden. Und die Verantwortung eines Herrschers über alle anderen Kinder möchte er ganz bestimmt auch nicht tragen. 

An seinem Geburtstag muss man „einen ausgeben“. Eine schlechte Sitte, die leider nicht auszurotten ist. Ich habe Jahr für Jahr 30 Lollis in die Schule getragen. Alle anderen haben das auch so gemacht. Hin und wieder versuchte mal jemand auszubrechen und vielleicht einen Kuchen mitzubringen. Aber das war vorbereitungsintensiv und unpraktisch, weshalb schließlich alle immer wieder zu den Lollis zurückkehrten. Ich fahre nun zwölf Schmetterlinge in den Kindergarten. Meine liebe Frau hat Wäscheklammern bemalt und beklebt und kleine Tütchen mit Obst und Salzgebäck gefüllt. Weil ich kein Kind und kein Erzieher bin, werde ich nicht eingeladen. Ich frage mein Kind, ob es eine schöne Geburtstagsfeier war und er sagt: „Doch“. Immerhin. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten am 09.03.2022 13:20 Uhr.

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