Alles neu macht der Mai

Ich habe mein altes Fahrrad gegen ein nagelneues Motorrad eingetauscht. Genau genommen gegen ein nagelneues Motorfahrrad. Ein Elektromotor zieht uns den Berg hinauf, auf dem das Haus steht, in dem die anderen Kinder warten. Sie warten auf unseren Sohn, der jetzt ein richtiges Kindergartenkind ist und einen halben Tag dort verbringt. Unsere Trennung ist jedes Mal eine Tragödie, aber seine Betreuerinnen sagen, das sei schnell wieder vergessen. Umso größer ist die Freude, wenn ich ihn nach dem Mittagsschlaf abhole und wir den Berg hinab wieder nach Hause fahren. Was mag in dem Kinde vorgehen, nachdem es so verzweifelt am Fenster stand und mich wegfahren sah? Ich hatte als Kind lange Zeit immer wieder einen Albtraum: Ich ging allein auf dem Weg zum Bahnhof. Dann sah ich meine Eltern, wie sie mir entgegenkamen. Ich lief los, ich rannte und ich sprang meinem Vater in die Arme. Aber es war gar nicht mein Vater. Es war auch nicht meine Mutter. Es waren überhaupt nicht meine Eltern, sondern wildfremde Leute, die mich nun mit zu sich nach Hause nahmen. Dann wachte ich meistens auf. Kam das vom Kindergarten?
Ab nächsten Montag gehe ich wieder arbeiten. Es ist wieder nicht gelungen, ernsthafte Alternativen zur Erwerbsarbeit zu entwickeln. Also muss ich eben in den sauren Apfel beißen. Damit es nicht zu einfach wird, macht die Erzgebirgsbahn erst mal neue Baustellen auf und fährt im Pendel- und Schienenersatzverkehr. Im Fahrplan schreiben sie, man soll einen Takt früher nutzen, um pünktlich irgendwo anzukommen. Die Züge fahren einmal in der Stunde. Wer reist, hat Zeit! Unser Kind wird also bald viel Zeit im Kindergarten verbringen. Es sei denn, er wird krank. Das ist bis jetzt in jedem der zwei Kindergartenmonate einmal vorgekommen. Selbstverständlich würde ich dann mit ihm zu Hause bleiben und ihn wieder gesund pflegen, wenn ich nicht selbst außer Gefecht gesetzt werde.
Die Kindergarten-Krankheiten können ganz schöne Keulen sein, die einen Erwachsenen umhauen, während das Kind einfach weitermacht, als wäre nichts. Beim letzten Mal bekamen wir beide während des Abendessens ohne Vorwarnung Durchfall. Unser Sohn drückte in seine Windel ab, während ich versuchte, noch rechtzeitig die Toilette zu erreichen. Dabei verließen mich schlagartig alle Kräfte, ich musste mich gleich hinlegen - und blieb zwei Tage liegen. Danach schlief ich eine Nacht durch und war wieder gesund. Das Kind war gleich am nächsten Morgen wieder einsatzbereit. Schauen wir doch mal, wer von uns am Jahresende die meisten Fehltage hat. Kommt heraus, lasst das Haus, windet einen Strauß.
Veröffentlicht in Elternzeit am 26.04.2022 8:14 Uhr.