Baum_Sonne

Nachrichten vom liedersaenger

Klein und lästig

Wie die Sprache immer wieder verrät, was wir wirklich denken. 


In der Arbeit mit behinderten Menschen gab es zuletzt viele sogenannte Paradigmenwechsel. Man besann sich zum Beispiel irgendwann darauf, dass man es nicht mit Kindern zu tun hatte, die unserer Fürsorge anvertraut waren, sondern mit Partnern, die zur Teilhabe berechtigt, ja berufen waren. Als ich meine berufliche Laufbahn in der Behindertenhilfe begann, gab es in der dortigen Praxis durchaus noch die Vorstellung, dass die dort lebenden Menschen in erster Linie zu erziehen seien. Die dabei angewandte Methodik war in Teilen auch damals schon fragwürdig. Dass das aber auf einmal alles falsch sein sollte, haben nicht alle der schon länger Mitarbeitenden sofort und unmittelbar verstanden und verinnerlicht. Man war entsetzt. Ungefähr das gleiche Entsetzen spiegelt sich jetzt auch in den Äußerungen der Fachleute und Experten in den Jobcentern. Die Arbeitslosen werden ihnen „auf dem Kopf herumtanzen“, wenn es zu der geplanten Lockerung der Sanktionen komme. Man hätte nichts mehr in der Hand. Genau das haben die langgedienten Wohnheim-Mitarbeiter auch gesagt, als man ihnen erklärte, der Entzug von Mahlzeiten oder das Wegschließen des Fernsehers sei mit dem Leitbild der Einrichtung nicht länger vereinbar. 

„Auf dem Kopf herumtanzen!“ Was ist denn das überhaupt für ein albernes Sprichwort? Ich kenne nur die Wendung „auf der Nase herumtanzen“. Dabei stellt man sich vor, dass man irgendetwas sehr Kleines aber durchaus Lästiges direkt vor Augen hat, aber seiner nicht Herr wird. Wenn einem etwas oder jemand auf dem Kopf herumtanzte, würde man es ja nicht sehen und es würde einen folglich auch nicht stören. Unser liebes Kind tanzt uns, seinen braven Eltern,  zum Beispiel gerade täglich auf der Nase herum. Dabei ist unser Kind natürlich noch sehr klein aber er ist uns selbstredend keinesfalls lästig. Nur sein Verhalten ist es zuweilen. Wahrscheinlich haben alle Kinder ein sicheres Gespür dafür, mit welchem Betragen sie ein eben noch in sich ruhendes Elternteil auf die Palme bringen können. Mit diebischer Freude kosten sie dann ihre neu gewonnene Macht aus. 

Bei aller Verzweiflung weiß man als Mutter oder Vater aber doch, dass man mit dem noch so unerwünschten Verhalten nicht als Person herausgefordert oder in Frage gestellt wird. Oder man sollte es zumindest wissen. So eine Einstellung könnte man dann schon professionell nennen. Noch mehr als von Eltern kann man Professionalität doch eigentlich von den Mitarbeiterinnen im Jobcenter erwarten. Eigentlich. Aber auch und gerade „eigentlich“ soll man ja eigentlich nicht sagen. 

Veröffentlicht in Arbeit, Elternzeit am 26.05.2022 8:30 Uhr.

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copyright: liedersaenger

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