Baum_Sonne

Nachrichten vom liedersaenger

Unvorstellbar

Altes Brot ist nicht hart. Kein Brot, das ist hart! 


Ich sollte ein Brot kaufen. Nichts leichter als das! Auf dem Nachhauseweg suchte ich ein einschlägiges Geschäft auf und studierte das Regal mit den Backwaren. Mischbrot -, so habe ich von meiner lieben Frau gelernt, Mischbrot also, wird immer so schnell trocken. Meine Mutter muss das auch gewusst haben, denn sie hatte eine Dauerbestellung über zwei Roggenbrote beim Angermüller - Bäcker in Hennigsdorf. Jede Woche hatte ich dort das Brot abzuholen und zu bezahlen. „Zwei Roggenbrote für Schwester Eva“ musste ich sagen und es war mir immer unangenehm, weil ich meinte, alle die es hörten würden denken, meine Mutter wäre eine Nonne. Und es hörten viele, denn es standen immer viele Menschen dort an, bis weit auf die Straße hinaus. Die Warterei war aber noch viel schlimmer, als den Schwester - Eva - Spruch aufzusagen, denn es gab noch keine Handys. Man stand einfach nur da und guckte seinem Vordermann / seiner Vorderfrau auf den Rücken und musste sich die Gespräche anhören. Oder eben, für wen die Kinder hier Bestellungen abholten. Nach einer gefühlten Ewigkeit fuhr ich mit zwei Stoffbeuteln am Lenker wieder nach Hause. 

Jetzt war ich allein im Laden und mein Blick fiel auf ein kleines Brot, vielleicht 500 Gramm, das wirklich unverschämt gut aussah. Ich zeigte darauf und begehrte, es käuflich zu erwerben. Es handele sich um ein Dinkel-Roggenbrot, informierte mich die Verkäuferin. Ich strahlte sie an und nickte. Sie packte es in eine Plastiktüte und verlangte:
VIEREUROZEHN.
Ja, Herrschaftszeiten, wo leben wir denn? VIEREUROZEHN für ein kleines Brot! Dafür kann man zwei Liter Benzin kaufen oder drei Flaschen Bier. Legt man noch fünf Euro dazu, kann man einen Monat lang kreuz und quer mit den Öffis durch das ganze Land fahren. VIEREUROZEHN, das sind ja 8,20 DM! Auf dem Schwarzmarkt wären das Zweiundachtzig Ostmark gewesen. Aber was soll’s? Ich habe natürlich nichts gesagt und bezahlt. Das Brot war auch wirklich lecker. Unser Kind verdrückte zum Abendbrot drei Scheiben. 

1920 kostete ein Pfund Brot 1,20Mark. 1922 schon 3,50 Mark. Ein Jahr später, im September 1923 bezahlte man für das gleiche Brot 2 Millionen Mark. Man musste mit der Schubkarre zum Brot holen fahren und die Schubkarre war anschließend leer. Unvorstellbar. 

Veröffentlicht in Weltgeschichte am 16.07.2022 12:35 Uhr.

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copyright: liedersaenger

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